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03.10.09 / »Sing, mei Sachse, sing« / Vor 30 Jahren erscholl erstmals die »Sachsenhymne«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-09 vom 03. Oktober 2009

»Sing, mei Sachse, sing«
Vor 30 Jahren erscholl erstmals die »Sachsenhymne« von Arndt Bause und Jürgen Hart

Für die SED waren die Leipziger Messen eine Bestätigung der Mythen vom „Weltniveau“ der DDR-Wirtschaft. Doch gerade die sächsischen Gastgeber sahen das eher als schlechten Witz an. Sie wussten am besten, dass Talent und Findigkeit von Sachsen im SED-Staat wenig gefragt waren. Vor 30 Jahren, zu Beginn der Herbstmesse 1979, verkündeten sie das aller Welt per ohrwurmigem Geniestreich. Wie alljährlich strahlte Sender Leipzig auch 1979 sein Messeprogramm „aMESSEments“ aus, diesmal arrangiert um das neue Lied „Sing, mei Sachse, sing“, für das der Musiker Arndt Bause und der Texter Jürgen Hart verantwortlich zeichneten. Rückblickend schwer vorstellbar: Anfänglich war es eine zweistimmige Walzerfasung, der erst ein Schwenk zu schmissigem Marschtakt den Weg zum vermutlich „schlagendsten“ deutschen Schlager der Neuzeit öffnete.

Glasbläser Bause (*1936) und Volksschullehrer Hart (*1942) hatten 1979 längst reüssiert – in ihren eigentlichen Talenten. Bause komponierte seit 1962 attraktive Melodien, insgesamt weit über 1300 – Hart gründete 1966 das Leipziger Kabarett „academixer“, das unter den gut 400 DDR-Kabaretts bald zu den besten zählte. René Büttner, Chef der Plattenfirma „Amiga“, hatte Bause Texte von Hart zum Vertonen gegeben, darunter auch „Sing, mei Sachse, sing“. So begann die Karriere eines Liedes, von dem 600000 Platten verkauft wurden – und wäre die lahme Plattenindustrie fixer gewesen, hätten es bei riesiger Nachfrage weit mehr sein können. Seine Schöpfer wurden dennoch Millionäre.

Bauses Musik ist wunderbar eingängig, dabei so einfach, dass selbst der bekennende Antisänger Hart sie nicht verhauen konnte. Harts Text offenbart mehrfachen Tiefgang: Er preist Lexik und Phonetik des auch in der DDR arg verlästerten Sächsischen. Er war das Hohelied der wiederentdeckten Liebe zu Heimat und Landsleuten, die herausgesungene Überwindung von geistiger und räumlicher DDR-Enge. Gerade darin steckte die heimliche Brisanz der „Sachsenhymne“, wie das Bause-Hart-Lied umgehend hieß.

1952 hatte die SED die historischen mitteldeutschen Länder in 14 „Bezirke“ zerschlagen. Die Menschen wurden durch Programme wie „Kader nach Norden“ ziellos durcheinander gewirbelt, was alles politisch, ökonomisch und zwischenmenschlich abträglichste Folgen hatte. Ab den frühen 1970er Jahren entdeckte die SED das „Territorium“ wieder und setzte an die Stelle von Mobilität und Disponibilität die „Wohnortgebundenheit“ mit allen Attributen, von Heimatfest bis Dialekt.

Das ist der Hintergrund des verhaltenen Triumphtons in „Sing, mei Sachse, sing“, dessen dritter Vers ein harscher Hassgesang gegen „Berlin-Hauptstadt-der-DDR“ ist. Sächsische Trutzgesänge sind witzig, etwa die des Dresdeners Erich Kästner („Da kennse Gifd droff nähm, dass wir uns rächn!“), aber erst Bause-Hart machten mit Berlin den Erzfeind der DDR-Bevölkerung namhaft. Manchen war das noch zu zahm, weswegen es schärfere Versionen gab: „An Arroganz und Greßenwahn / ergennste de Berliner, / Brillt, ihr Breißn brillt / bloß habt aich ni so wild.“

Die Sachsen wehrten sich – gegen Walter Ulbrichts Fistel-Sächsisch, gegen das Gerede von „Sachsen als fünfter Besatzungsmacht“, gegen den Usus, in DDR-Filmen Deppenrollen grundsätzlich mit Sachsen zu besetzen. Texter Hart wusste: Sachsen machen gemeinhin keinen „Ärcher“, sind aber böse, wenn jemand ihnen „Ärcher“ macht: Am 18. Oktober 1813 wurde Napoleon in der Völkerschlacht von Leipzig geschlagen – am 18. Oktober 1989 trat SED-Chef Honecker zurück, zermürbt von wochenlangen Leiziger Montags-Demonstrationen. War alles das nicht schon in der „Sachsenhymne“ angeklungen?

Jürgen Hart starb am 9. April 2002, Arndt Bause am 13. Februar 2003. Hart hatte die Wende von 1989 herbeigesehnt, weil sie das Ende der „Sklavensprache“ in der DDR-Kultur brachte. Das unterschied ihn von Bause, der ein politischer Trottel war, sich zudem von Altstalinisten manipulieren ließ. 2001 veröffentlichte er seine Autobiographie „Der Mann mit der goldenen Nase“, für die er mit Gisela Steineckert eine Ghostwriterin anheuerte, die in der Unterhaltungsmusik eine Rolle wie „Sudel-Ede“ Karl-Eduard von Schnitzler in der Publizistik gespielt hatte. Inzwischen ist die ehemalige „Oberzensorin“ (so die aus der DDR vertriebene Liedermacherin Bettina Wegener) wieder aktiv, etwa auf Festivals „Sing, mei Ossi, sing“ oder inmitten von „Genies“, die über Sachsen in den alten Bundesländern singen, „wo Männer wie die Doofen / mit Stoffbeuteln rumloofen“ Wolf Oschlies


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