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10.10.09 / Kunst als Gipfel der Wissenschaft / In der Alten Nationalgalerie Berlin zeigt eine Ausstellung die Welt des Malers und Arztes Carl Gustav Carus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-09 vom 10. Oktober 2009

Kunst als Gipfel der Wissenschaft
In der Alten Nationalgalerie Berlin zeigt eine Ausstellung die Welt des Malers und Arztes Carl Gustav Carus

Carl Gustav Carus, eine Persönlichkeit von universalem Zuschnitt und  herausragender Exponent des geistigen und wissenschaftlichen Lebens des frühen 19. Jahrhunderts, ist heute meist vergessen. Eine Ausstellung in Berlin ist dem Arzt, Philosophen und Maler gewidmet.

Er hatte königliche Bewunderer wie den kunstbegeisterten Kronprinzen und späteren König Fried-rich Wilhelm IV. von Preußen oder den sächsischen König Johann, dessen Leibarzt er war, doch ist sein Schaffen heute nur einigen ausgewiesenen Kunstfreunden ein Begriff. Der Maler Carl Gustav Carus (1789–1869) gilt als Universalgelehrter, war er doch im Hauptberuf Arzt, machte sich aber auch als Naturphilosoph und Literat einen Namen. In der Gemäldegalerie Alte Meister im Semperbau am Zwinger und in den Ausstellungsräumen des Kupferstich-Kabinetts im Residenzschloss Dresden würdigte man mit zwei umfangreichen Ausstellungen sein Schaffen. Jetzt ist diese Schau in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel zu sehen. Wenn auch der in Sachsen verwurzelte Carus gelegentlich nach Berlin reiste, so wurden seine Arbeiten doch nur selten auf Berliner Akademieausstellungen gezeigt. 1834 war eine italienische Ansicht (Blick auf das Baptisterium in Pisa) vermutlich auf Betreiben des Kronprinzen ausgestellt, die sonst in dessen Wohnung hing.

Gut 150 Jahre später erwarb der Verein der Freunde der Nationalgalerie eines der wenigen heute bekannten Motive von Carus, den „Balkon in Neapel“. Entstanden war das Gemälde um 1829/30, nachdem Carus von seiner zweiten Italienreise als Begleiter des Prinzen Friedrich August von Sachsen zurückgekehrt war.

„Mit leuchtenden Farbklängen hat Carus in diesem Gemälde die Eindrücke seines Neapler Aufenthaltes festgehalten“, schreibt Birgit Verwiebe im Katalog zur Ausstellung. „1830 war das Bild als ,Erinnerung an Neapel‘ in Dresden ausgestellt. Das Zimmer gewährt einen Ausblick auf die vom Sonnenlicht golden umglänzte Hafenbucht mit Booten und dem Castel dell Ovo, dahinter in zartem Blau die Insel Ischia. Die im Türrahmen des Balkonzimmers lehnende Gitarre deutet auf den Gesang der Fischer, der abends im Hafen erklingt. Mit dem Fensterausblick griff Carus ein romantisches Sehnsuchtsmotiv auf: Der Nähe des Vordergrundes ist die Aussicht in die Ferne, ins Weite gegenübergestellt.“

Carus, der mit Bildhauern wie Christian Friedrich Tieck, Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch bekannt war, ist auch Karl Friedrich Schinkel während eines Berlin-Besuchs begegnet. „Erstaunlich ist die Intensität, mit der Karl Friedrich Schinkel (1771–1841) sich mit Carus‘ Grundzügen allgemeiner Naturbetrachtung befasste, da er den ganzen Text abschrieb und gelegentlich kurz kommentierte“, schreibt Bernhard Maaz in seinem Beitrag zum Essayband, der ebenfalls zur Ausstellung erschien. „Schinkel hatte Carus bei dessen Besuch in Berlin die Entwürfe zu den Wandbildern für die Vorhalle des Alten Museums gezeigt und ,ihrem Sinn nach gedeutet‘. So wenige Anhaltspunkte mit diesen zwei Aussagen auch gegeben sind, so lässt sich doch schlussfolgern, dass die Begegnungen zwischen Carus und Schinkel insofern von ungewöhnlicher Inspirationskraft waren, als sie beide weltgeschichtliche Dimensionen in ihren Werken zu reflektieren versuchten, beide aus den Traditionen der deutschen Klassik herkamen und beide dem romantischen Denken verbunden waren.“

Enger noch war die Verbindung zwischen Carus und dem großen Meister der Romantik Caspar David Friedrich. Wenn auch die Freundschaft zu dem gut 15 Jahre älteren Maler nur ein Jahrzehnt umfasste und an unterschiedlichen Auffassungen zerbrach, so wird der Einfluss Friedrichs doch deutlich, betrachtet man die Arbeiten des Autodidakten Carus. Und so mag mancher Betrachter gerade der frühen Bilder ein Déja-vu haben. Was Friedrich anfangs schmeichelte, verurteilte er später als „Nachäfferei“. Besucher der Ausstellung werden sich ein genaues Bild machen können, denn neben mehr als 200 Gemälden und Zeichnungen von Carus sind auch Kunstwerke bekannter Zeitgenossen wie Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl ausgestellt. Zu sehen sind in der Berliner Ausstellung aber auch medizinische Geräte, anatomische Präparate, naturkundliche und anthropologische Exponate sowie Schriften von Carus. Die Leitbegriffe ,Natur‘ und ,Idee‘ kennzeichnen dabei die Pole, zwischen denen sich der Universalist Carus bewegte. Seiner Arbeit lag ein interdisziplinäres Konzept zugrunde, das die „Kunst als Gipfel der Wissenschaft“ feierte und einen mustergültigen Gegenentwurf zur aufkommenden Spezialisierung im frühen 19. Jahrhundert darstellte.      Silke Osman

Die Ausstellung ist bis zum 10. Januar 2010 in der Alten Nationalgalerie Berlin dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr zu sehen, Eintritt 8/4 Euro. Der Katalog und der Essayband sind im Deutschen Kunstverlag erschienen und zum Paketpreis von 60 Euro erhältlich.

Foto: Carl Gustav Carus: Balkon in Neapel (Öl, um 1829/30)


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