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10.10.09 / »Stricken ohne Wolle« / Streitschrift für die Bildung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-09 vom 10. Oktober 2009

»Stricken ohne Wolle«
Streitschrift für die Bildung

Zu seinem 60. Geburtstag hat Lehrerverbands-Präsident Josef Kraus sich selbst ein ganz besonderes Geschenk gemacht. Im August brachte er sein neues Buch „Ist die Bildung noch zu retten? Eine Streitschrift“ heraus. Darin setzt sich der Gymnasiallehrer und Schulleiter kritisch mit aktuellen Fragen der deutschen Bildungspolitik auseinander. Wie schon in seinen Büchern „Spaßpädagogik – Sackgassen deutscher Bildungspolitik“ (1998) und „Der Pisa-Schwindel“ (2005) tritt Kraus für mehr Fachwissen und Leistungsorientierung im Unterricht, eine klar strukturierte Schullandschaft, zentrale Abschlussprüfungen sowie für mehr föderalen Wettbewerb ein.

Insbesondere kritisiert er die am „seichten Schlüsselqualifikationen-Gerede“ ausgerichteten Lehrpläne, zu denen immer mehr Bundesländer – zuletzt Mecklenburg-Vorpommern – übergehen. Kompetenzen lehren zu wollen ohne konkrete Inhalte, das sei „wie Stricken ohne Wolle“, „wie Kochen ohne Zutaten“. Stattdessen fordert der Bundesverdienstkreuzträger einen breit gefächerten humanistischen und naturwissenschaftlichen Schulkanon und die Stärkung des Deutschunterrichts, denn die Mutter- und Landessprache sei das A und O einer jeden Bildung. Über internationale Vergleichsstudien à la Pisa und wirtschaftliche Verwertbarkeit in Ausbildung und Beruf hinaus plädiert Kraus für einen ganzheitlichen Erziehungsauftrag der Schule. Sie solle junge Leute wetterfest machen für ihr Leben, persönliche und kulturelle Identität fördern sowie Werte vermitteln.

Ferner warnt Kraus vor den Folgen des Lehrermangels für den Standort Deutschland. Stundenausfall, überfüllte Klassen und fachfremd erteilter Unterricht würden dazu beitragen, dass junge Menschen schwächer qualifiziert auf den Arbeitsmarkt kommen. Schon jetzt fehlten 20000 Pädagogen an den Schulen, vor allem in den Fächern Mathematik, Informatik und den Naturwissenschaften. Grund sei die anstehende Pensionierungswelle der überalterten Kollegen und die demgegenüber unzureichende Zahl an Nachwuchskräften. Niedrigere Gehälter und Karrierechancen als in der freien Wirtschaft, das angekratzte öffentliche Image sowie die Stressbelastung würden Studenten abschrecken, den Lehrerberuf zu ergreifen. Dennoch wirbt Kraus mit dem Bild des Lehrers als „glück-licher Sisyphos“ und appelliert an die Lehrerschaft, trotz schwieriger Umstände nicht aufzugeben.

Kraus Festhalten am mehrgliederigen Schulwesen, seine Ablehnung der Gesamtschule als „Wohlfühlschule mit Abiturvollkaskoanspruch“ und seine Offensive für stärkere Elitenbildung dürfte Kritiker auf den Plan rufen. Sie werfen dem selektiven Schulsystem in Deutschland soziale Ungerechtigkeit vor. Dagegen scheint Kraus’ Lob der Hauptschule als „optimale Schule für tüchtige, praktisch begabte junge Leute“ nicht frei von Augenwischerei angesichts der Gewaltbereitschaft, schwieriger Familienverhältnisse, des hohen Migrantenanteils und der geringen Berufsperspektiven.

Kraus’ Streitschrift ist geprägt von wissenschaftlicher und praxiserfahrener Fundierung, klarer und bildhafter Sprache, Provokation und Satire. Eine Pflichtlektüre für Eltern, Pädagogen und Bildungspolitiker.            Sophia E. Gerber

Josef Kraus: „Ist die Bildung noch zu retten? Eine Streitschrift“, Herbig, München 2009, gebunden, 224 Seiten, 16,95 Euro


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