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17.10.09 / Russki-Deutsch (38): Besprisorny

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-09 vom 17. Oktober 2009

Russki-Deutsch (38):
Besprisorny
von Wolf Oschlies

Besprisorny“ (unbeaufsichtigt) – ein hässliches Wort, sperrig und seit Jahrzehnten ohne Bezug zu russischer Realität. Dennoch gerade in deutschem Schrifttum ein untilgbares Wort: „Besprisorny“, als Pluraletantum gebraucht, bezeichnete das Strandgut von Revolution und Bürgerkrieg, die elternlosen, entwurzelten Kinder, die in Banden minderjähriger Diebe und Mörder das Land durchstreiften und für Lenins und Stalins Sowjetreich eine solche Gefahr bildeten, dass sie strafrechtlich wie Erwachsene behandelt und zum Tode verurteilt wurden.

Die chronisch schönfärberische Sowjetpropaganda hat die Existenz der „Besprisorny“ nie bestritten, wohl aber ihre hohe Zahl, die das Internationale Rote Kreuz Ende der 1920er Jahre mit zwölf Millionen bezifferte. Ihr setzten sie die Legende vom „Weg ins Leben“ der „Besprisorny“ entgegen: So hieß 1931 ein im In- und Ausland erfolgreicher Film nach dem Buch „Pädagogisches Poem“ des Erziehers Anton Makarenko. Der hatte sich dieser verwahrlosten Kinder angenommen, und seine radikalen Erziehungsmethoden waren bis in die 1970er Jahre gesamtdeutscher „Kult“: Im Westen untersuchte man Makarenkos „Kommandeurspädagogik“, in der DDR seine „Kollektiverziehung“. Dabei war notwendigerweise viel von „Besprisorny“ die Rede.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab es keine sowjetischen, aber „deutsche Besprisorny“, von denen die Zeitungen 1946 berichteten: „Es ist eine geschichtliche Erinnerung, als in Russland die verwahrlosten Kinder und Jugendlichen in wilden Rudeln durchs Land streiften.“ Die russischen „Besprisorny“ waren zwar ein Ergebnis bolschewistischer Politik, aber ein indirektes, an dem die Bolschewiken im Grunde schuldlos waren. War das so? Der prokommunistische Psychologe Manes Sperber erinnerte sich, dass in seine Berliner Praxis oft ehemalige hohe Sowjetfunktionäre kamen, die ungeachtet aller Degradierungen zu Stalins Regime standen – weil sie als frühere Exekutoren des stalinistischen Terrors am Elend der „Besprisorny“ schuld waren und nun Angst hatten: Mancher potentielle Abtrünnige blieb loyal, weil er „im Angsttraum sein Kind in einer Bande von Besprisorny erblickte, elternlos, obdachlos, bis auf die Knochen ausgedörrt“.


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