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17.10.09 / Vergessene Minderheit / Evangelische Deutsche im Banat: 200 Gläubige in einem Umkreis von über 100 Kilometern verstreut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-09 vom 17. Oktober 2009

Vergessene Minderheit
Evangelische Deutsche im Banat: 200 Gläubige in einem Umkreis von über 100 Kilometern verstreut

Wenn von deutschen Gemeinden in Rumänien die Rede ist, denkt man zuerst an die traditionsreichen evangelischen Siebenbürger Sachsen und die katholischen Banater Schwaben. Kaum jemand weiß, dass es im Banat auch deutsche evangelische Gemeinden gibt.

Manchmal weiß Walter Sinn aus Semlak im Banat selbst nicht mehr so genau, was er ist: Pfarrer oder Fahrer. Wenn der 50-jährige Geistliche der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien zu seinen Gemeinden fährt, um dort Gottesdienste zu halten, dann kommen schon einmal drei Gottesdienste und 380 Kilometer an einem Sonntag zusammen. Der engagierte Seelsorger betreut rund 200 evangelische Deutsche im Banat, jener Region, in deren Metropole Temeschwar 1989 die Revolution gegen Diktator Ceaucescu ihren Ausgang nahm.

Was sich auf den ersten Blick wie eine traumhafte Zahl an Seelen pro Pfarrer anhört, erweist sich bei näherem Hinsehen als Flickenteppich. Die Gemeinden erstrecken sich von Semlak an der rumänisch-ungarischen Grenze über das halbe Banat. Dazu gehören die Orte Engelsbrunn, Liebling, Birda, Klopodia und Kleinschemlak. Die anderen Gemeinden im Banater Bergland betreut Amtsbruder Egon Wonner von Reschitz aus. Zum Vergleich: Die Orthodoxe Kirche hat in diesem Gebiet vier Bistümer.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat in den Gemeinden ihre Spuren hinterlassen. 1940 zählte die Gemeinde Liebling noch über 4000 Seelen, im September 1944 flohen binnen weniger Stunden über 2000 Deutsche vor der anrückenden Roten Armee nach Deutschland. Die Lebensbedingungen der Diktatur unter Ceaucescu führten dazu, dass ab den 70er Jahren auch noch die restlichen Gemeindeglieder fast vollständig ausgewandert sind. Nach einem Geheimabkommen des Diktators mit Bundeskanzler Schmidt zahlte Bonn dem Regime ein Kopfgeld von 8000 D-Mark pro Auswanderer. Die Freiheit nach 1989 nutzten die meisten noch Verbliebenen zur Auswanderung. Heute zählt die Gemeinde nur noch 30 Seelen.

Seit 1985 ist Pfarrer Walter Sinn nun in Semlak, einem gemütlichen Ort mit 4000 Einwohnern. Gab es 1940 dort 1483 Gemeindeglieder, so waren es 1985 nur noch 537. Davon wanderten allein 1990 und 1991 rund 300 aus. Heute hat der Pfarrer 120 Seelen im Ort zu betreuen, rund 80 in den anderen Gemeinden. Wobei die Situation nicht überall so endzeitlich ist wie in Engelsbrunn, wo mit Elisabeth Müller und Maria Krumbacher gerade noch zwei alte Frauen leben, beide weit über 70 Jahre alt.

Bis zur Wende gab es immer vier bis sechs evangelische Pfarrer im Banat. Die meisten sind ebenfalls ausgewandert, sehr zum Kummer der Gemeindeglieder. Pfarrer Sinn hat sich bewusst zum Bleiben entschlossen und dient seinen Gemeinden hier zu einem Bruchteil des Gehalts, das er heute als Pfarrer oder mit einer anderen Arbeit in Deutschland verdienen würde.

Das Gemeindeleben ist völlig anders geprägt als in Deutschland. Es gibt kaum Kinder und Jugendliche, der Pfarrer hält mangels „Kundschaft“ keinen Religions- und Konfirmandenunterricht. Alle zwei oder drei Jahre gibt es eine Taufe oder Trauung, dann meist schon aus Mischehen. Bei Trauerfällen wird der Tote im Haus aufgebahrt und zwei Tage Totenwache gehalten. Leichen- und Hochzeitszüge führen bis heute durch das Dorf.

Über Arbeitsmangel braucht sich der Pfarrer trotz der niedrigen Seelenzahlen nicht zu beklagen. Er ist nicht nur Prediger, Seelsorger und Fahrer, sondern auch Handwerker, denn die finanzielle Lage der Gemeinden, die mit niedrigen Kirchenbeiträgen zurechtkommen müssen, erlaubt es selten, Firmen zu beauftragen.               Jürgen Henkel

Foto: Pfarrer Sinn hat mehrere Arbeitsplätze: Hier die Kirche in Semlak


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