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24.10.09 / Dialog unter Sprachlosen / China am Main: Beobachtungen zum »Ehrengast« der 61. Frankfurter Buchmesse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-09 vom 24. Oktober 2009

Dialog unter Sprachlosen
China am Main: Beobachtungen zum »Ehrengast« der 61. Frankfurter Buchmesse

Hinter der Entscheidung, das kommunistische China zum Gastland auf der Buchmesse zu machen, standen nicht so sehr kulturelle, sondern kommerzielle Motive. Der Schaden für die Messe hält sich in Grenzen, da Peking auf der großen Bühne etliche Eigentore schoss.

Zu Wochenbeginn endete in Frankfurt am Main die 61. Buchmesse, deren „Ehrengast“ das kommunistische Rot-China war. Partner der Frankfurter Gastgeber war das „Amt für Presse und Publikationen“ (GAPP), Chinas oberste Zensurbehörde. Ihr muss die Einladung wie ein Griff in chinesische Zahlenmystik vorgekommen sein. Danach stehen die Sechs für Glück und die Eins für Himmel beziehungsweise Einheit. Den rund 1000 Funktionären war der Frankfurt-Trip gewiss himmlisches Glück, kaum getrübt durch die Pflicht, allerorten die Propagandalüge von der Einheit zwischen Partei und Volk zu wiederholen.

Zudem hatte GAPP mit fast schon erpresserischem Druck durchgesetzt, dass Autoren wie die Umweltaktivistin Dai Qing ausgeladen wurden. Messedirektor Jürgen Boos versprach es, aber Dai Qing kam doch und brachte die Pekinger Emissäre auf Symposien vor der Messe in Weißglut. Während der Messe lehnte sie sich schadenfroh zurück: Ein Regime, das sich durch peinliche Lobhudler wie Wang Zhaoshan, Vizepräsident des Schriftstellerverbands, in Frankfurt vertreten lässt, desavouiert und blamiert sich mehr als Hunderte Dissidenten es könnten. Wangs Poem von 2008, in dem 70000 Erdbebenopfer von Sichuan der Partei „danken“, war selbst von der Regimepresse als „schmalzig und fürchterlich“ verdammt worden.

Im Grunde war das bilateraler Theaterdonner, da auf beiden Seiten Wirtschaftsinteressen dominierten. Die Frankfurter Gastgeber wollten durch möglichst viele Chinesen die Lücken tarnen, die Absagen aus Westeuropa und Übersee gerissen hatten, und ökonomische Gesundheit demonstrieren. Peking nutzte die Messe zur Selbstpräsentation und zur Anschauung für Privatverlage, deren Gründung die GAPP im April erlaubt hatte. Anders konnte man den großen Erfolg nicht bremsen, den unabhängige Verlage wie Mirror Books von Hongkong aus mit regimekritischen Publikationen haben. Mirror-Inhaber Pin Ho macht sich schon lange lustig: „Verbotsverfügungen sind beste Werbung für uns, denn so erfährt jeder von unseren neuen Büchern, die man lesen muss.“

Das Regime hatte Anfang Oktober den 60. Geburtstag ihrer kommunistischen Volksrepublik gefeiert. In Frankfurt warb Vize-Staatspräsident Xi Jinping um „Verständnis und Respekt“ für die Pekinger Kulturpolitik. Den Messebesuchern war das egal: Sie erlebten vor allem in Halle 6 chinesische Präsenz in typischer Aufmachung: Bambus, Panda, Tee, Seide und Kalligraphie – selbst budd-istische Nonnen huschten umher. Wer aber mehr wissen wollte, etwa beim Copyright Protection Centre of China, scheiterte bald an der Sprach- oder Ahnungslosigkeit charmanter Damen am Stand.

Die Buchmesse war der Versuch eines Dialogs unter Sprachlosen, denn Chinesen scheinen in 60 Jahren Kommunismus resistent gegen Fremdsprachen geworden zu sein. Nur Dissidenten und re-gimekritische Medien wie „New Times China TV“ und „The Epoch Times“, alle in Halle 3 präsent, redeten Klartext zur „Reformbereitschaft“ Pekings. Hier sprach man über vergiftete Nahrungsmittel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten und ähnliches und hielt die chinesische Messepräsenz für eine Art Belohnung kommunistischer Speichellecker. Schärfer noch der in London lebende Ma Jian, dessen Roman „Peking-Koma“ das Massaker vom Tiananmen-Platz von 1989 behandelte. Für Ma Jian ist chinesische Kulturpolitik diktatorisch: „In China dürfen Autoren nicht frei reden ... Die Regierung kontrolliert das Publikationswesen strengstens, und jeder Privatverlag ist in Wirklichkeit ein Lautsprecher der Kommunistischen Partei.“        W. Oschlies

Foto: Kontrolle: Darsteller der Pekinger Oper vermittelten eher ungewollt einen Einblick in das Kunstverständnis ihres Regimes.

 

Zeitzeugen

Juergen Boos – Seit dem Jahr 2005 ist der 48-jährige Verlagsmanager Direktor der Frankfurter Buchmesse. Von der diesjährigen 61. Messe kann er ein positives Fazit ziehen: Mit 290500 Besuchern wurde trotz Krise das zweitbeste Ergebnis seit je erzielt. 7300 Aussteller aus 100 Ländern präsentierten mehr als 400000 Titel, darunter 124000 Neuerscheinungen.

 

Peter Ripken – Der 67-jährige Literaturwissenschaftler war bis Sonntag Projektleiter der Buchmesse und Leiter ihres internationalen Zentrums. Zum Ende der Messe wurde er überraschend  von dieser Aufgabe entbunden, wobei unklar blieb, ob dies geschah, weil er zwei chinesischen Regimegegner einen Auftritt verweigern wollte oder weil er ihn nicht verhindert hat.

 

Claudio Magris – Den Friedenspreis des deutschen Buchhandels  gibt es seit 1950, seit 1951 wird er vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem Veranstalter der Buchmesse, verliehen. In diesem Jahr ging er an den italienischen Schriftsteller und Germanisten Claudio Magris. Der vielseitige Autor, geboren 1939 in Triest, widmet sich in seinen Werken dem Zusammenwirken verschiedener Kulturen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf dem alten Habsburger Reich mit seinen verschiedenen Ethnien.

 

Michael Vogelbacher – Der 39-jährige Jurist und IT-Manager ist Leiter des Bereichs Informationsdienste von MVB, Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH, einem Tochterunternehmen des Gesamtverbandes Börsenverein des Deutschen Buchhandels. In dieser Funktion ist er maßgeblich für den expandierenden Bereich der E-Books zuständig.

 

Lojze Wieser – Der 1954 geborene Kärtner Slowene und Chef des Wieser Verlags in Klagenfurt ist auf osteuropäischen Buchmessen gern gesehen, nicht nur wegen Karst-Schinken und Rotwein. Angesehen sind die Bücher, die Wiesers Intention verkörpern, die „kleinen“ Literaturen Osteuropas  ins Deutsche übersetzt zu verbreiten und Landeskenntnis zu fördern. Details in den Serien „Erlesen“ und der „Enzyklodpädie des europäischen Ostens“.


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