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24.10.09 / Ehrlichkeit wird zur Eilmeldung / Neue Regierung: Die versprochenen Steuersenkungen kommen – mit sonderbaren Finanzierungstricks

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-09 vom 24. Oktober 2009

Ehrlichkeit wird zur Eilmeldung
Neue Regierung: Die versprochenen Steuersenkungen kommen – mit sonderbaren Finanzierungstricks

Die Koalitionsgespräche von Union und FDP biegen auf die Zielgerade ein. Bei Redaktionsschluss informierten die Parteichefs ihre Fraktionen über die Verhandlungsergebnisse, den letzten Schliff wollten die 27 Spitzenvertreter bis Freitag vornehmen.

Bisher steht fest: Sowohl FDP als auch CSU können ihre wichtigsten Wahlversprechen einhalten: Es wird Steuerentlastungen geben, nur der Umfang ist noch unklar. Vermutlich muss die FDP (Versprechen: 35 Milliarden Euro Entlastungen) Federn lassen, geredet wird von einem Umfang von 20 bis 23 Milliarden Euro im Laufe von vier Jahren. CSU-Chef Seehofer ist sich sicher, dass 2011 die erste Stufe der Entlastungen in Kraft treten wird – bereits vor der Wahl hatte er angekündigt, er werde keinen Vertrag unterschreiben, in dem nicht konkrete Daten für Steuersenkungen genannt werden. Das wäre dann das dritte Jahr in Folge, in dem Steuersätze gesenkt werden, da bereits die Große Koalition für 2009 und 2010 im Rahmen der Konjunkturpakete gewisse Steuersenkungen beschlossen hatte. Allerdings waren diese Entlastungen allesamt nicht sehr groß und ihnen stehen unmerkliche Steuererhöhungen durch die „kalte Progression“ gegenüber.

Die Gegenfinanzierung für die Steuersenkungen und weitere Ausgaben könnten in einem Nachtragshaushalt noch 2009 verbucht werden, der von manchen Beobachtern umgehend und gewiss nicht ganz zu Unrecht als „Schattenhaushalt“ betitelt wurde. Das würde Spielraum für zusätzliche Verschuldung 2010 schaffen. Außerdem wollen die Finanzpolitiker die Zuschüsse für die Bundesagentur für Arbeit überprüfen. Arbeitsförderungsmaßnahmen, die nichts bringen, sollen offenbar gekürzt oder abgeschafft werden.

Erstaunlich schnell hatte sich zuvor die Verhandlungsgruppe Innen- und Rechtspolitik auf eine gemeinsame Linie verständigt. Hier hatten Beobachter die größten – ideologisch bedingten – Differenzen zwischen Union und FDP erwartet. Ergebnis: Das Jugendstrafrecht wird verschärft. Die Höchststrafe bei Mord liegt künftig bei 15 statt zehn Jahren – eine erhebliche Verbesserung, wenn man den Sühnecharakter des Strafrechts, vor allem aber den Schutz vor Wiederholungstätern bedenkt. Dafür unterliegen die umstrittenen Online-Durchsuchungen schärferen Kontrollen: Sie können nur noch vom Bundesanwalt in Karlsruhe beantragt werden. Die Vorratsdatenspeicherung von Handygesprächen soll es nur zur Abwehr besonders schwerer Straftaten geben. Internet-Seiten mit Kinderpornographie werden nicht mehr einfach nur gesperrt, stattdessen wird künftig versucht, sie vollständig zu löschen.

Bemerkenswert auch die Einigung bei der Sozialhilfe, neudeutsch Hartz IV genannt. So dürfen die Empfänger deutlich mehr „Schonvermögen“ behalten, nämlich 750 statt 250 Euro pro Lebensjahr. Auch selbstgenutztes Wohneigentum soll unangetastet bleiben. Für CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, der Ambitionen auf das große Arbeits- und Sozialministerium hat, ist dies die Beseitigung „fundamentaler Ungerechtigkeiten im Hartz-IV-System“. Diese Neuregelung entspricht dem Grundansatz einer „bürgerlichen Sozialpolitik“, demzufolge die Sozialhilfe in kurzfristigen Notlagen helfen soll, bis der Betroffene beispielsweise wieder Arbeit findet: Das eigene Häuschen wird nicht gepfändet, um den späteren Wiedereinstieg in ein bürgerliches Leben nicht zu behindern. Die Menschen sollen am Ende nicht mit absolut leeren Händen dastehen, was sie ja erst recht zu Dauerkunden beim Sozialamt machen würde.

Interessant war, etwa am Montag den Spitzenpolitikern auf ihren Pressekonferenzen nach den Sitzungen der Parteigremien zuzuhören und die Reaktionen der aktuellen Journaille darauf zu beobachten: Sie wollten partout keine Zwischenergebnisse herausposaunen, um die Schlussverhandlungen nicht zu gefährden. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte auf andauernde Nachfragen der Journalisten lediglich: „Steuersenkungen werden stattfinden, Steuererhöhungen werden nicht stattfinden.“ Das – und auch den angestrebten Zeitpunkt 2011 – hatte er bereits monatelang vorher verkündet, in dieser Woche aber liefen diese Aussagen als Eilmeldugen über die Agenturen: Medien und Bevölkerung waren sichtlich überrascht, dass diese Wahlversprechen eingehalten werden. Im übrigen dementierte Seehofer „sämtliche Gerüchte, die so umherlaufen“, was sich wohl nicht zuletzt auf Personalfragen bezog.

Hier stand zum Redaktionsschluss dieser Zeitung noch fast nichts eindeutig fest, lediglich die Kanzlerin will sich am Mittwoch, 28. Oktober, im Bundestag wählen lassen – einen Tag nach der Konstituierung des Parlaments. Denkwürdig in diesem Zusammenhang ist die Einlassung der Kanzlerin, die verhältnismäßig klar andeutete, dass sie das Finanzministerium für die CDU reklamiere. Der Name Thomas de Maizière, bisheriger Chef des Kanzleramts und ein enger Merkel-Vertrauter, fiel in diesem Zusammenhang – er war in der Fachgruppe Haushalt und Finanzen der Wortführer der Union.

Diese Personalie allerdings böte, zu Ende gedacht, erheblichen Sprengstoff: Ginge das mächtige Finanzministerium an die CDU, dann fiele das Wirtschaftsministerium schon automatisch an die FDP. Für Karl-Theodor zu Guttenberg, den mit Abstand beliebtesten Politiker Deutschlands,

müsste dann eine neue, machtvoll-spannende Aufgabe gefunden werden. Aufgrund seiner Weltläufigkeit könnte man sich den oberfränkischen Baron durchaus als Außenminister vorstellen. Doch aufs Auswärtige Amt erhebt traditionell der Chef des zweitgrößten Koalitionspartners Anspruch, und das ist Guido Westerwelle. Ein Hin und Her um Guttenberg scheint also programmiert. Oder könnte es gerade das Ziel Merkels sein, den Überflieger und Beliebtheits-König aus der bayerischen Abteilung der eigenen Reihen ein wenig zurechtzustutzen?         Anton Heinrich

Foto: Schwarz-Gelb will trotz gähnend leerer Kassen die Steuern senken. Bei dieser gewagten Entscheidung hat auch der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010 eine Rolle gespielt.


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