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31.10.09 / Der »Löwe von Wilna« führte von vorne / Vor 100 Jahren kam der Preußenschildträger und jüngste Kommandierende General der Wehrmacht Theodor Tolsdorff zur Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-09 vom 31. Oktober 2009

Der »Löwe von Wilna« führte von vorne
Vor 100 Jahren kam der Preußenschildträger und jüngste Kommandierende General der Wehrmacht Theodor Tolsdorff zur Welt

Er wollte eigentlich nie Berufssoldat werden, und doch ging der Ostpreuße Theodor Tolsdorff als einer der höchstdekorierten deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges in die Militärgeschichte ein.

Am 3. November 1909 auf dem elterlichen Rittergut Lehnarten im Kreis Oletzko (Treuburg) geboren, wurde der junge Theo bereits im Alter von fünf Jahren mit den Schrecken des Krieges konfrontiert, als er mit seiner Mutter und den drei Geschwistern im Herbst 1914 vor den heranrückenden russischen Truppen fliehen musste. Der Vater stand als Artillerieoffizier an der Front und kehrte nach Kriegsende körperlich gebrochen in die Heimat zurück. Nach dessen frühem Tod Ende 1919 schien für seinen Sohn der Berufsweg vorgegeben. Er beendete das Gymnasium in Königsberg und absolvierte eine landwirtschaftliche Ausbildung, um den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Zuvor wollte er jedoch seinen Militärdienst ableisten.

Als Theodor Tolsdorff am 1. Oktober 1934 als Freiwilliger in das Infanterieregiment 1 in Insterburg eintrat, hatte er nicht die Absicht, länger zu dienen oder gar Offizier zu werden, doch es kam anders. Er wurde im Sommer 1936 wegen seiner besonderen Eignung außer der Reihe zum Leutnant befördert und 1937 Berufssoldat. Während des Polenfeldzuges zeichnete er sich als Chef einer Infanteriekompanie bereits am zweiten Kriegstag durch besondere Tapferkeit aus und erhielt beide Klassen des Eisernen Kreuzes. Obwohl er an der Schulter verwundet wurde, blieb er bei seiner Truppe und führte sie im Westfeldzug bis in die Gegend von Saumur.

Beim Angriff auf die Sowjetunion drang er mit seiner Kompanie durch die baltischen Länder vor. Stets von vorn führend, errang er Erfolg um Erfolg, bis er schwer verwundet die Truppe verlassen musste. Für seinen vorbildlichen Führungsstil und seinen persönlichen Einsatz wurde er Ende 1941 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Im April 1942 kehrte er an die Front zurück. Während eines Angriffs am Ufer des Ladogasees wurde er durch einen Granatsplitter schwer verwundet und verlor einen Teil seines rechten Fußes. Dennoch blieb er bei seinen Männern und im Juni hatte er als Bataillonsführer hervorragenden Anteil am Schließen des Wolchow-Kessels, wofür ihm das Deutsche Kreuz in Gold verliehen wurde. Am letzten Tag der Schlacht erhielt er einen Kopfschuss und fiel für mehrere Monate aus.

Nach seiner Genesung wurde Tolsdorff Anfang 1943 Major und führte sein Bataillon im Schwerpunkt der Abwehrschlacht am Ladogasee. Nachdem es ihm immer wieder gelungen war, alle russischen Gegenangriffe abzuwehren, erhielt er im September 1943 das Eichenlaub zum Ritterkreuz. Anschließend übernahm Tolsdorff das Gumbinner Infanterieregiment 22. Während der Kämpfe südlich von Winniza erhielt er im Nahkampf einen Bauchschuss. Doch kaum richtig ausgeheilt, tauchte der im Lazarett zum Oberstleutnant beförderte Tolsdorff schon nach wenigen Wochen wieder bei seinen Soldaten auf.

Nach einer weiteren Kopfverwundung wurde er im Juni 1944 zur Schonung als Taktiklehrer an die Fahnenjunkerschule in Metz versetzt. Doch das war keine befriedigende Verwendung für den agilen und tapferen Frontoffizier, und schon nach drei Tagen bat er energisch um Rückversetzung an die Front.

Anfang Juli 1944 war Tolsdorff wieder bei seinem Regiment in Litauen. Hier versuchte die Rote Armee, den Durchbruch ins Reichsgebiet zu erzwingen. In dieser Lage erhielt Tolsdorff den Befehl, die von der Einschließung bedrohte Stadt Wilna zu verteidigen. Aus Alarm- und Urlauberkompanien sowie versprengten Truppenteilen stellte er einen Kampfverband zusammen und bildete einen Kessel, den er bis zum Eintreffen von Entsatztruppen gegen den weit überlegenen Gegner hielt. So ermöglichte er den sicheren Abtransport von Tausenden Verwundeten. Für diese Tat erhielt der „Löwe von Wilna“ das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz und wurde zum Oberst befördert.

Adolf Hitler persönlich beorderte Tolsdorff zu einem Divisionskommandeur-Lehrgang und befahl ihm, anschließend in Thorn die 340. Volksgrenadierdivision aufzustellen. Mitte November 1944 wurde der Verband in den Raum Aachen-Jülich verlegt, wo er durch hartnäckigen Widerstand verhinderte, dass die amerikanischen Truppen die Rur (Roer) überschritten. Während der Ardennenoffensive zeichnete sich Tolsdorff beim Angriff auf Bastogne aus. Für sein vorbildliches Führungsverhalten und seine persönliche Tapferkeit, die allein schon dadurch zum Ausdruck kam, dass er im Einzelnahkampf 68 feindliche Panzer vernichtet hatte, bekam er als einer von nur 27 Soldaten der Wehrmacht die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern verliehen. Außerdem wurde er am 30. Januar 1945 zum Generalmajor und damit jüngsten General des Heeres befördert.

Sein nächstes Kommando erhielt Tolsdorff als Kommandierender General des LXXXII. Korps in Bayern. Gleichzeitig wurde er zum Generalleutnant befördert. Im Raum Amberg stellte er sich den amerikanischen Truppen entgegen, muss­te sich aber schließlich in die Alpen zurückziehen. Durch seinen hinhaltenden Widerstand ermöglichte er Zehntausenden deutscher Soldaten den Rück­zug vom Balkan ins Reichsgebiet. Bei Kriegsende ergab er sich mit seiner Truppe und ging in Gefangenschaft.

Als Berufssoldat hatte Tolsdorff zu diesem Zeitpunkt den Gipfel des Erfolges erreicht. Er war der jüngste Kommandierende General der Wehrmacht und Träger der höchsten deutschen Tapferkeitsauszeichnung (nach dem nur einmal verliehenen Goldenen Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes). Von seinen Männern wurde er als der „tolle Tolsdorff“ verehrt und genoss als tapferer Soldat auch bei seinen Gegnern Ansehen. Gleichwohl musste er mit seinen gerade einmal 35 Jahren eine schwere Lebenszäsur hinnehmen und eine bittere Bilanz ziehen. Er hatte an den Folgen von 14 im Krieg erlittenen Verwundungen zu tragen, beruflich stand er vor dem Nichts, das Reich lag in Trümmern und seine ostpreußische Heimat war für ihn unerreichbar.

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Mai 1947 schlug sich Tolsdorff als Kraftfahrer durch. Bei einem Autounfall erlitt er einen doppelten Schädelbasisbruch, so dass er diesen Beruf nicht mehr ausüben konnte und fortan in einer Baustoffhandlung arbeitete. Ein Arbeitsunfall mit einem schweren Trümmerbruch eines Beines zwang ihn zu einer erneuten Berufspause. Doch mit der ihm eigenen Willenskraft rappelte er sich wieder hoch. Im Jahre 1960 gab ihm eine Straßenbaufirma eine Chance und stellte ihn als leitenden kaufmännischen Angestellten ein. 1974 ging er in den Ruhestand.

Ende 1952 holte Tolsdorff unverhofft die Kriegszeit ein. Er wurde verhaftet und musste sich wegen der standrechtlichen Erschießung eines fahnenflüchtigen Offiziers verantworten, der Anfang Mai 1945 unter Missbrauch der Rotkreuz-Flagge Kontakt zum Feind aufgenommen hatte. Tolsdorf hatte den Mann verhaften lassen und als zuständiger Gerichtsherr das Todesurteil abgezeichnet. Nachdem er in erster Instanz zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf, da Tolsdorff das Militärstrafrecht korrekt angewandt habe. Der anschließende Prozess vor dem Landgericht endete mit einem Freispruch und einer Ehrenerklärung für den ehemaligen General – ein „Freispruch erster Klasse“.

Seiner Heimat Ostpreußen ist Tolsdorff im Herzen immer treu geblieben. Er betätigte sich in der Landsmannschaft Ostpreußen, gehörte deren Bundesvorstand an und wurde für sein Engagement 1977 mit dem Preußenschild ausgezeichnet.

Generalleutnant Theodor Tolsdorff starb am 25. Mai 1978 im 69. Lebensjahr in Dortmund.        

Jan Heitmann

Foto: Theodor Tolsdorff im Fronteinsatz: Von einem Dachboden aus beobachtet der Kommandant einen Gegenangriff seiner Truppen im Raum Jülich.


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