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31.10.09 / Genauer weggeschaut / Autorin widmet sich den Türken in Berlin, scheut aber vor Kritik zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-09 vom 31. Oktober 2009

Genauer weggeschaut
Autorin widmet sich den Türken in Berlin, scheut aber vor Kritik zurück

„Türken in Berlin“ – so der Titel eines Buches von Hilke Gerdes – sind wegen ihrer ethnischen Vielfalt und von ihrem unterschiedlichen Selbstverständnis her schwierig zu beschreiben und korrekt zu benennen. Insgesamt ist diese Bevölkerungsgruppe wesentlich heterogener als gemeinhin angenommen. In Berlin leben insgesamt gut 180000 Menschen türkischer Herkunft, davon ein Drittel Kurden. Rund 70000 sind in Deutschland eingebürgert. Der Anteil von Angehörigen kleiner Ethnien aus der Türkei ist unbekannt. Neben den Einwanderern in erster Generation leben viele bereits in der dritten Generation in der deutschen Hauptstadt. Die Autorin hat sich denn auch nicht die Aufgabe gestellt, eine umfassende Darstellung der gegenwärtigen Situation zu erarbeiten, was in einem handlichen Format schier unmöglich wäre, sondern es geht ihr im Kern um eine Übersicht der jüngeren Ent- wicklung bis zur Gegenwart. Sie beginnt mit einer historischen Rückschau.

Das Osmanische Reich hatte seit 1877 in Berlin eine ständige Vertretung. Deutschland suchte nach neuen Absatzmärkten, und so kam es 1888 zum Abkommen über den Bau der Bagdadbahn. Die Autorin erinnert ebenfalls an die Waffenbrüderschaft während des Ersten Weltkriegs.

1961 wurde ein Anwerbeabkommen mit der Türkei abgeschlossen, so wie schon in den späten 50er Jahren mit Italien, Spanien und Griechenland. Es fehlten nach dem Mauerbau die vielen pendelnden Arbeitskräfte aus Ost-Berlin. 1964 bestand der Arbeitskräftemangel nach wie vor, und das zunächst festgeschriebene Rotationsprinzip für türkische Gastarbeiter wurde aufgegeben, zumal die Industrie monierte, dass die ständige Einarbeitung neuer Kräfte Mehrkosten verursachte. Erst nach der Wirtschaftskrise des Jahres 1967 stieg der Anteil türkischer Arbeitnehmer rasch an. Ihre Familien lebten zumeist abseits vom deutschen Umfeld in Kreuzberg und anderen Vierteln der Stadt, was dem oft nicht besonders ausgeprägten Willen entsprach, die deutsche Sprache zu lernen. Heute ist das Sprachproblem besonders eines von Frauen, die vor ihrer Heirat in der Türkei lebten und an ihrem neuen Wohnort kaum persönliche Kontakte zu Deutschen pflegen. Dieser Erscheinung hätte die Autorin sich intensiver widmen sollen, zumal häufig eine mangelnde Bereitschaft zur Integration damit einhergeht. Doch überall dort, wo eine ausführliche Beschreibung der Situation aus Gründen der politischen Korrektheit brenzlig werden könnte, begnügt sich Hilke Gerdes mit knappen Hinweisen. Statt einer komplexeren Betrachtung wird eine knappe, isolierte Ansprache jedes einzelnen Problembereichs in unterschiedlichen Kapiteln geboten, so etwa im Hinblick auf die Bildungsferne bestimmter Teile der türkischstämmigen Bevölkerung. Das reicht nicht aus, zumal Gerdes indirekt unermüdlich für mehr Verständnis auf deutscher Seite wirbt. Mit den notwendigen Informationen untermauert sie ihren Anspruch nicht. Am informativsten fallen daher die Kapitel über „unverfängliche“ Themen aus.

Zurück zu den 70ern. Damals gab es für Moscheeneubauten „weder die finanziellen Mittel noch den politischen Willen“. Woher die Spenden für die heutigen zahlreichen Neubauten von Moscheen stammen könnten, auch darüber wird kein Wort verloren. Auch kommt Gerdes auf „die Rolle der Religion zu sprechen“, ebenfalls vollkommen isoliert vom übrigen Inhalt. Bereits in der Überschrift heißt es, diese Rolle sei „vielstimmig“. In der Tat ist es schwierig, sich einen Überblick über die zahlreichen Richtungen sowie deren Werte und Normen zu verschaffen, da es kein Zentralorgan gibt, das für alle Muslime zuständig ist. Die Vorstellung des größten Dachverbands, der Türkisch-Islamischen-Union der Anstalt für Religion (DITIB), hat einen positiven Tenor, andere Stimmen werden nicht reflektiert. Dieses Buch ist ein einziges Werben darum, genauer hinzuschauen. Doch gerade dies ist an vielen Stellen konsequent vermieden worden. Dagmar Jestrzemski

Hilke Gerdes: „Türken in Berlin“, be.bra verlag, Berlin-Brandenburg 2009, broschiert, 223 Seiten, 19,90 Euro


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