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07.11.09 / »Die Zeit ist noch nicht reif« / Gespräch mit dem in Polen lebenden Kabarettisten Steffen Möller über eine schwierige Nachbarschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-09 vom 07. November 2009

»Die Zeit ist noch nicht reif«
Gespräch mit dem in Polen lebenden Kabarettisten Steffen Möller über eine schwierige Nachbarschaft

In der ausgebuchten Hamburger Komödie Winterhuder Fährhaus trat der Kabarettist Steffen Möller auf, der gerade auf Deutschlandtournee ist. Mit viel Humor klärte der wohl bekannteste Deutsche in Polen das Publikum über das Nachbarland, dessen unglaublich schwierige Sprache, den Aberglauben und einige amüsante typische Charakterzüge der Polen auf.

Der sympathische Deutsche begeisterte das deutsch-polnische Publikum mit dem an sein Buch „Viva Polonia“ angelehntem Bühnenprogramm. Steffen Möller ist nicht nur ein ganz großer Star in seiner Wahlheimat Polen, sondern gilt auch als der beste deutsche Botschafter in Polen. Die PAZ sprach mit ihm über das angespannte deutsch-polnische Verhältnis, seine Arbeit und seine Pläne.

PAZ: Herr Möller, Sie touren gerade durch Deutschland mit Ihrem Programm „Viva Polonia – Als deutscher Gastarbeiter in Polen“. Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach der Humor der Deutschen von dem der Polen? Über welche Dinge können beide lachen?

Möller: Sie können beide über sich selbst lachen. Viele Polen glauben, die Deutschen hätten keinen Humor, ich selber glaube, die Deutschen haben sehr viel Humor…aber nur abends, abends, wenn sie im Kabarett sitzen und wissen, jetzt bin ich im Kabarett, dann wissen sie, aha jetzt kommt Absurdität. Die Polen können auch tagsüber lachen, wenn sie gar nichts wissen. Das ist für mich der schöne kleine Unterschied. Man braucht in Polen nicht anzukündigen, dass man gleich einen Witz erzählt.

PAZ: In Deutschland werden Polen besonders gern im Pflegedienst eingesetzt, weil manche gut mit Menschen umgehen können sollen. Wo würde man denn einen Deutschen in Polen arbeiten lassen außer im Kabarett?

Möller: Wahrscheinlich als Bahnhofswärter, der pünktliche Durchsagen machen muss, vielleicht auch noch als Schäferhundzüchter und natürlich als Polizist, Soldat…und solche Sachen…

PAZ: Sie leben bereits seit 15 Jahren in Polen und sind zum Polenfan geworden. Was müsste man in beiden Ländern tun, damit wir einander mögen?

Möller: Man müsste eine gemeinsame Sprache einführen. Ich glaube, das Hauptproblem ist die sehr unterschiedliche Sprache. Die Polen lernen sehr fleißig Deutsch, Polen ist ja das Land mit den meisten Deutschlernenden der EU, 25 Prozent machen Abitur in Deutsch. In Deutschland sieht es ein biss-chen schlechter aus, niemand lernt Polnisch, gerade mal tausend Leute in Brandenburg. Und ich kann nur hoffen in 500 Jahren reden wir alle Englisch.

PAZ: Ein Punkt, welcher immer wieder für Probleme sorgt, ist das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin. Man sieht es in Polen als ein großes Problem. Wie sehen Sie es?

Möller: Ich glaube, dass die Zeit noch nicht reif ist für dieses Zentrum, und ich glaube, dass Erika Steinbach den Polen nicht das Gefühl vermitteln konnte, dass dieses Zentrum sich nicht gegen Polen richtet. Man sollte meines Erachtens die Vorsitzende des Vertriebenenbundes ersetzen durch jemand Neues, der in Polen mehr Kredit genießt.

PAZ: Wie sollten die Deutschen das Vorhaben denn angehen, damit es in Polen als keine Beleidigung gesehen wird? Sehen Sie als Lösung die Neubesetzung des Postens der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen?

Möller: Ja, ich bin aber auch der Meinung, dass die Polen in ihrer Reaktion häufig übertreiben. Man nimmt in Polen nicht ausreichend zur Kenntnis, dass es in Deutschland wohl eine Vergangenheitsbewältigung gibt, aber man hat das Gefühl, dass die Deutschen viel zu wenig wissen, über das, was 1939 bis 1945 passiert ist. Fragen sie mal in Wuppertal oder in einer anderen deutschen Stadt, wer das Wort Westerplatte kennt: niemand. Und wenn ein Pole das merkt, dann wird er natürlich aggressiv, weil er dann das Gefühl hat, dass die ganze Vergangenheitsbewältigung nicht viel Wert ist.

PAZ: Sie haben das Bundesverdienstkreuz für ihre Verdienste um das deutsch-polnische Verhältnis bekommen. Können Sie sich vorstellen, dem Beispiel des polnischen Kabarettisten Jan Pietrzak zu folgen und es auch aktiv in der Politik zu versuchen?

Möller: Ich habe dieses Jahr bei den Europawahlen das Angebot einer postsozialistischen Splitterpartei aus Warschau bekommen, der SDLP, für sie im Wahlkreis Warschau zu kandidieren, damit sie endlich über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Ich habe das Angebot nicht angenommen, daraufhin haben sie eine ausrangierte Sängerin genommen, die es auch nicht geschafft hat. Und ich bin froh, dass ich es nicht gemacht habe. Ich werde mich von der Politik möglichst fernhalten.

PAZ: Sie sagen von sich selber, Sie seien ein Hobbyethnologe und beobachten beide Völker ganz genau. Gibt es für Sie immer noch Überraschungen im deutsch-polnischen Alltag?

Möller: Ja es gibt auch positive Überraschungen. Ich hatte jetzt vor zwei Wochen einen Auftritt in Belheim, in der Pfalz, es ist ein kleines Städtchen mit einer hervorragenden Bierbrauerei. Sie haben seit über 30 Jahren eine enge Partnerschaft mit einer kleinen Stadt in Westpolen. Kuzmin heißt die Stadt, und das ist eine unheimlich lebendige Partnerschaft. Ich hatte da einen Auftritt: 70 Polen und 400 Deutsche. Das war eine Superstimmung. Ich hatte in beiden Sprachen geredet. Da sind sogar schon Ehen gestiftet worden von dieser Partnerschaft. Davon muss es noch viel mehr geben, damit die Welt besser aussieht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Anna Gaul

 

Steffen Möller ist wohl der bekannteste Gastarbeiter in Polen. Bereits seit Jahren tritt er erfolgreich als Kabarettist auf. Der Deutsche wurde 1969 in Wuppertal geboren. Nach dem Studium der Philosophie und Theologie ging er nach Krakau, um Polnisch zu lernen, und blieb. Zunächst arbeitete er an der Warschauer Universität als Dozent für Deutsch. Seit 2001 tritt Möller als Kabarettist in Polen auf. Sein Durchbruch kam mit einer Rolle in der po-pulären polnischen Seifenoper „L wie Liebe“. Er gilt als großer Polenfan, der mit seinem Humor einen Beitrag zur Verbesserung des polnisch-deutschen Verhältnisses leistet. Im Jahr 2005 wurde er dafür sogar mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. – 2006 wurde sein erstes Buch: „Polska da sie lubic“ („Polen lässt sich mögen“) veröffentlicht und 2008 das deutsche Pendant dazu „Viva Polonia – Als deutscher Gastarbeiter in Polen“. Im Jahr 2009 erschien sein neustes Buch „Vita Classica“ über seine Liebe zur klassischen Musik. Immer bekannter wird Möller auch in Deutschland. Derzeit ist er wieder auf Tour mit seinem Kabarett zum Buch: Theaterhaus Stuttgart, 9. November, Centralstation im Carree Darmstadt, 10. November, Stadthalle Rheine, 11. November, ZAAK Düsseldorf, 12. November.  Weitere Stationen sind Duisburg, Aachen und Münster.       A.G.


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