28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
07.11.09 / Damenbesuch war tabu / Eine Stiftung will das ehemalige olympische Dorf von 1936 retten – Wechselhafte Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-09 vom 07. November 2009

Damenbesuch war tabu
Eine Stiftung will das ehemalige olympische Dorf von 1936 retten – Wechselhafte Geschichte

Gerade lief im Kino das Drama „Berlin 36“ über die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann. Der Film lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Olympischen Sommerspiele von 1936. Neben dem Rummel um sportliche Höchstleistungen und die nationalsozialistische Rassenpolitik rückt jedoch ein Schauplatz aus dem Scheinwerferlicht heraus: das olympische Dorf, in dem die Athleten im August 1936 untergebracht waren und trainierten.

Der Auftrag für den Bau des Komplexes im Elstal bei Berlin ging an den Architekten Werner March. Dieser hatte schon das Reichssportfeld und das Olympiastadion entworfen. Die 2,5 Hektar große Anlage bot beste Bedingungen, um die 4000 Sportler aus aller Welt zu beherbergen. Um die ausländischen Besucher mit der Geographie und den Gepflogenheiten des Gastgeberlandes vertraut zu machen, trug jedes der 141 Wohnhäuser einen deutschen Städtenamen. Die Gemeinschaftsräume waren mit entsprechenden Wandgemälden ausgestattet. Der Erhalt von Kiefern- und Eichenwäldern sowie die Anlegung eines Sees mit finnischer Sauna und Wasservögeln aus dem Zoo sollten den Eindruck eines natürlichen Charakters der Landschaft erwecken.

Tagsüber brachten sich die Männer – die Frauen kamen in der Nähe des Olympiastadions unter – auf dem Sportplatz mit Aschebahn, in der hochmodernen Schwimmhalle mit Desinfektionsbecken oder in der Turnhalle in Form. Für das leibliche Wohl sorgten rund 200 Köche im „Speisehaus der Nationen“. Der Genuss alkoholischer Getränke war beim Mittag- und Abendessen untersagt. Nur die Italiener und Franzosen mussten nicht auf ihren Wein, die Holländer und Belgier nicht auf ihr Bier verzichten. Abends trafen sich die Athleten im „Haus Hindenburg“ zur Vorführung von Propagandafilmen oder zum Gespräch. Nächtliche Ausflüge oder gar Damenbesuch waren dagegen tabu.

Nach den Sommerspielen quartierte sich die deutsche Wehrmacht auf dem Areal ein. Kurzerhand funktionierte sie das Speisehaus zum Lazarett, das Empfangsgebäude zum Kommandostab-Sitz und Offiziersheim sowie das Hindenburg-Haus zur Infanterieschule um. Zu DDR-Zeiten nutzten die Sowjets das Dorf für militärische Zwecke. Nichts sollte mehr an das Vorgängerregime erinnern. „Anstößige“ Skulpturen wurden entfernt, das Riesenrelief marschierender Wehrmachtsoldaten im Hindenburg-Haus versiegelt, die Wandgemälde der Unterkünfte übertüncht und durch eigene Bilder ersetzt. An der Stelle vieler Wohnhäuser errichtete die sowjetische Armee Plattenbauten für ihre Offiziere und deren Familien. Nach dem Abzug der Truppen 1992 kehrte Ruhe in Elstal ein.

Zukunftspläne – von einer Dauerausstellung für Architektur über eine Fußballschule des DFB bis hin zu einem Ferienpark oder einer internationalen Jugendbegegnungsstätte – kursierten in den Medien. Doch all diese Pläne scheiterten nicht zuletzt wegen finanzieller Schwierigkeiten. Die Natur eroberte das Gelände mit wuchernden Birken und Gräsern zurück. Der Zahn der Zeit begann an den Bauten zu nagen. Von den ursprünglichen Gebäuden von 1936 stehen heute noch das teil-sanierte Speisegebäude, das Hindenburg-Haus, die Turn- und Schwimmhalle, der Sportplatz, das Heizhaus, das Kommandantenhaus sowie neun der Unterkünfte. Überall rieselt der Putz, rostet der Stahl, und der Wind pfeift durch zerbrochene Scheiben. Die alte Schwimmhalle ist seit einem Brandanschlag von 1993 schwer beschädigt und droht nun einzustürzen. Der Waldsee ist verlandet und auch die Sauna und die Holzbrücke sind längst Geschichte.

Seit 2005 gehört das denkmalgeschützte Areal der DKB-Stiftung für gesellschaftliches Engagement, die sich für den Erhalt des geschichts-trächtigen Ortes einsetzt. Gemeinsam mit dem Verein Historia Elstal bietet sie von April bis Oktober Führungen durch das Dorf an (Anmeldung unter 033234/86277). Dabei erhalten Besucher interessante Einblicke hinter die Kulissen der verbliebenen Gebäude.

Höhepunkt ist die Besichtigung des sanierten Wohnhauses von Jesse Owens. Der afroamerikanische Leichtathletikstar und Publikumsliebling hatte damals mit dreimal Gold Hitlers Rassenwahn ad absurdum geführt.  Sophia E. Gerber

Foto: In neuem Glanz: Das ehemalige Schlafzimmer des Athleten Jesse Owens


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren