© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-09 vom 07. November 2009

Auf Männerfang
Dische spielt mit Klischees

Irene Disches neuer Roman mit dem Titel „Clarissas empfindsame Reise“ ist in Form eines vergleichsweise schmalen Bandes erschienen, beinhaltet aber eine weitgefächerte Handlung. Für Kenner liegt bald die Vermutung nahe, dass es sich hier ein weiteres Mal um eine in einen Schnelldurchlauf gepresste Mischung aus Satire und Groteske handeln könnte. Und das ist tatsächlich der Fall.

Dische schickt eine arrogante 35-jährige, die man auch als „Flittchen“ bezeichnen könnte, da sie sich gewohnheitsmäßig unter anderem an bekannte Schriftsteller heranpirscht, während der Zeit des Wahlkampfs 2008 auf eine Reise durch die USA. Der überwiegend in Berlin lebenden deutsch-amerikanischen Schriftstellerin liegen deutsche und amerikanische Inhalte, auch gern gemischt, wie in diesem Fall: Ihre Protagonistin Clarissa ist eine Amerikanerin aus jüdischer Familie, die viele Jahre zuvor in Berlin „ihr Talent, sich zu verlieben“ entdeckt hatte und seitdem dort lebt.

Zuletzt hatte sie einer Freundin den Liebhaber ausgespannt, einen älteren, verheirateten russischen Schriftsteller. In ihn ist sie nach wie vor vernarrt, als sie zum Auftakt der Geschichte, in einem Flugzeug sitzend und mit ihrem dänischen Sesselnachbarn flirtend, in Erscheinung tritt. Spontan hatte Clarissa beschlossen, ihren Liebeskummer (Ivan hatte ihr den Laufpass gegeben) in New York auszukurieren. Der Titel des Romans wurde in Anspielung auf eine im 18. Jahrhundert beliebte Art der Reiseliteratur gewählt, in England „Sentimental Journey“ genannt. Diese Ich-Erzählerin ist jedoch gefühlsarm, wenn man von ihrem aus Liebeskummer veranstalteten Lamento absieht. Im Gegensatz zum literarischen Vorbild, mit dem man es so genau nicht nehmen sollte, lässt sie sich unterwegs weder auf lange Dialoge ein noch nimmt sie sich Zeit zum Sinnieren. Stattdessen kreisen ihre Gedanken viel um ihr jugendliches Aussehen.

Das Reiseziel New York wurde mittels Umweg über Miami, Florida, angepeilt. Einen Aufenthalt in Orlando hatte Clarissa eingeplant, weil sie dort eine noch größere Berühmtheit auf dem Feld der Schriftstellerei ausfindig machen will: Paul. Nach und nach erfährt man, dass Clarissa ehemals eine erfolgreiche Ralleyfahrerin war und in Berlin mit dem gutaussehenden, vermögenden und sie überdies bedingungslos liebenden Handchirurgen Hans verheiratet ist, dessen Kreditkarte sie schätzt.

Damit ist endgültig geklärt, dass Dische hier alles, aber auch alles Vorkommende ironisch aufgespießt hat. Sie hat sich einen Spaß daraus gemacht, Clarissa mit Klischees auszustatten, die oft und gern gerade von Frauen bekrittelt werden, die aber dennoch unausrottbar sind, zumal die Medien ein Interesse an ihrem Wildwuchs haben. Es ist Wahlkampf während Clarissas Reise durch die USA. Überall begegnet man Erscheinungen, die alle Vorurteile zu bestätigen scheinen: arme und übergewichtige Trailerpark-Bewohner, fanatische Wahlkampfhelferinnen aber auch dem Spendenknopf auf Hillary’s Webseite.

Überstürzt bricht die von Paul enttäuschte Clarissa aus Orlando auf, reist per Bus irrtümlich durch beide Carolinas. Zwischendurch prüft sie immer wieder ihre Mailbox, und wirklich meldet sich Ivan, noch dazu aus einem New Yorker Hotel, wo er auf ihre Ankunft wartet. Siegessicher begibt sie sich daraufhin in das drei Zeitzonen und 3400 Meilen entfernte Anchorage, weil sie glaubt, Ivan werde ihr auch dorthin nachreisen … Man kann natürlich die Frage erheben, wieviel Aufwand eigentlich beim Schreiben dieses Romans betrieben wurde. Begreift man ihn aber als eine bitterironische Komödie über den Way-of-Life speziell in den USA, verliert diese Frage an Gewicht.     Dagmar Jestrzemski

Irene Dische: „Clarissas empfindsame Reise“, Hoffman und Campe, Hamburg 2009, gebunden, 160 Seiten, 19,95 Euro