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14.11.09 / Gerichtshof unter Zeitdruck / Der mutmaßliche Massenmörder Karadzic spielt auf Zeit – und könnte Erfolg haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-09 vom 14. November 2009

Gerichtshof unter Zeitdruck
Der mutmaßliche Massenmörder Karadzic spielt auf Zeit – und könnte Erfolg haben

Ende 2010 läuft das Mandat des UN-Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien aus. Die Chancen für eine Verlängerung stehen schlecht, da mehrere UN-Mächte eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen nicht wollen. Die Verzögerungstaktik von Radovan Karadzic, einem der mutmaßlichen Haupttäter, könnte Erfolg haben.

Tagelang blieb die Anklagebank leer. Der ehemalige Präsident der bosnischen Serben Radovan Karadzic weigerte sich, seine Zelle zu verlassen und vor den Richtern zu erscheinen. Diese verhandelten indes allein vor dem UN-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte den 64-Jährigen des Völkermordes und weiterer schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg. Um seinen Plan eines rein serbischen Staates in Bosnien-Herzegowina zu verwirklichen, soll Karadzic die Vertreibung, Folterung und Ermordung Hunderttausender bosnischer Muslime und Kroaten befohlen haben. Das Massaker an 8000 Muslimen in Srebrenica 1995 gilt als das grausamste Verbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Karadzic, der alle Vorwürfe bestreitet, droht eine lebenslange Haftstrafe. In der zweiten Prozesswoche nahm der Angeklagte dann doch im Gerichtssaal Platz – um mehr Zeit für seine Vorbereitung zu verlangen. Die Verzögerungstaktik des früheren Psychiaters ging auf. Neuer Verhandlungstermin ist der 1. März 2010.

Dabei sollte der Karadzic-Prozess das große Finale für das UN-Jugoslawien-Tribunal werden, dessen Mandat Ende 2010 ausläuft. Nachdem das Gericht bisher kein rechtskräftiges Urteil gegen einen der drei Haupttäter gefällt hat – Ex-Armeechef Ratko Mladic ist auf der Flucht, der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic starb während seines Prozesses an einem Herzinfarkt –, will es mit Karadzic ein Exempel statuieren und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Doch den Haager Richtern läuft die Zeit davon. Entweder müssen sie den Prozess gegen den Serbenführer weiter beschleunigen, wodurch die Gründlichkeit der Ermittlungen leiden würde, oder sie stellen das Verfahren ein. Der UN-Sicherheitsrat könnte zwar auch die Amtszeit der Richter verlängern. Die Chancen dafür stehen aber eher schlecht, da nicht nur das serbenfreundliche Russland, sondern auch andere Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates die rechtliche Aufarbeitung der Jugoslawienkriege gern ad acta legen würden.

Serbien hat aber seine Vergangenheit längst noch nicht bewältigt. Der Prozess zieht einen tiefen Graben durch die Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die serbischen Nationalisten. Sie verehren Karadzic und Mladic bis heute als Kriegshelden, die für die großserbische Sache gekämpft haben, und lehnen das Haager Tribunal als „antiserbisch“ ab. Zu ihnen gehört Karadzics Pflichtanwalt Goran Petronijevic, der bereits mehrere serbische Kriegsverbrecher und berühmte Persönlichkeiten aus der ultrarechten Szene verteidigt hat. Er wirft dem Gericht vor, politischen Druck auf die Serben auszuüben, und zitiert zynisch: „Findet die Politik Eingang in den Gerichtssaal, dann fliegt die Gerechtigkeit zum Fenster raus.“

Die so genannten prowestlichen Serben schütteln darüber nur den Kopf. Insbesondere die junge Generation will die Kriegsgräuel aufklären und den Weg für eine EU-Mitgliedschaft freimachen. Student Alexander Natschewski von der Belgrader Nichtregierungsorganisation „Keine Alternative zu Europa“ meint: „Ich bin sicher, dass Leute hier diese Politik und diese Verbrechen unterstützt haben – also haben wir Serben auch eine Verantwortung. Und deshalb denke ich, wir sollten in Sachen Vergangenheitsbewältigung dem deutschen Beispiel folgen.“ Die Menschenrechtlerin Sonja Biserko warnt daher vor Kreisen, die eine öffentliche Debatte behindern wollen: „Der serbische Nationalismus ist noch immer sehr lebendig.“       Sophia E. Gerber

Foto: In Bosnien wird der Karadzic-Prozess genau verfolgt: Die Angehörigen von fast 100000 Getöteten hoffen auf Gerechtigkeit.

 

Zeitzeugen

Serge Brammertz – Eine Million Seiten Beweismaterial gegen Radovan Karadzic hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) bisher gesammelt. Der belgische Jurist, der einer deutschsprachigen Familie entstammt, übernahm im Januar 2008 das Amt von Carla del Ponte. Der 47-Jährige begann seine Karriere als Staatsanwalt in Belgien, seit 2003 arbeitet er für den Internationalen Gerichtshof.

 

Alfred de Zayas – Der in Genf lebende Völkerrechtler betont die strikte Notwendigkeit, Verbrechen gegen Menschlichkeit zu bestrafen. „Internationale Gerichtshöfe schaffen mit ihren Urteilen verbindliches Völkerrecht. Deswegen sind auch die Urteile des Nürnberger Tribunals für die deutschen Vertriebenen positiv, weil sie ein zwingendes Vertreibungsverbot bereits in den frühen 1940er Jahren voraussetzen.“ Das Jugoslawientribual habe das in seinen Urteilen mehrfach bestätigt. „Skandalös ist, dass diese eindeutige Rechtslage nicht für alle Vertriebenen gleichermaßen angewendet wird, vor allem nicht auf die Deutschen.“

 

Slobodan Milosevic – Am Ende triumphierte er, auch wenn es seinen Tod bedeutete. 2006 verstarb der Präsident Serbiens (1989−1997) sowie Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien (1997−2000) in Haft in Den Haag noch bevor die Ankläger ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen konnten. Milosevic gilt als Schlüsselfigur der Jugoslawienkriege.

 

Milan Lukic – Der ehemalige Anführer der paramilitärischen „Weißen Adler“ der Serbischen Republik in Bosnien und Herzegowina ist wohl der „dickste Fisch“, der Den Haag bisher ins Netz ging und über den auch ein Urteil gefällt werden konnte. Im Juli 2009 wurde er wegen kaltblütiger Kriegsverbrechen zu lebenlänglicher Haft verurteilt.

 

Radko Mladic – Der ehemalige General der bosnisch-serbischen Armee wird für das Massaker in Srebrenica an rund 8000 Menschen verantwortlich gemacht. Doch bisher konnten die Ankläger des ICTY seiner nicht habhaft werden. Vieles spricht dafür, dass er zumindest zeitweise in Serbien versteckt wurde. Auch Russland kommt als Aufenthaltsort in Frage.


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