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14.11.09 / Das Seepferdchen gab ihm den Namen / Der Dichter Joachim Ringelnatz führte ein bewegtes Leben und schuf skurrile Gestalten wie »Kuttel Daddeldu«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-09 vom 14. November 2009

Das Seepferdchen gab ihm den Namen
Der Dichter Joachim Ringelnatz führte ein bewegtes Leben und schuf skurrile Gestalten wie »Kuttel Daddeldu«

Wohl kaum eine Veranstaltung mit maritimem Charakter kommt ohne das Lesen der Gedichte des Schriftstellers und Dichters Jo-achim Ringelnatz aus. Er beschreibt skurrile Figuren, die vor den Naturgewalten der See glänzend bestehen, aber in ihrem Leben an Land immer wieder den einen oder anderen Schiffbruch erleiden. Joachim Ringelnatz, mit bürgerlichem Namen Hans Bötticher, wurde am 7. August 1883 als jüngstes von drei Geschwistern in Wurzen geboren. Von den Eltern erbte er die künstlerische Ader. Sein Vater war eigentlich Chefmusterzeichner in einer Tapetenfabrik, verfasste aber über 40 Bücher mit Gedichten, humoristischen Versen, politischen Satiren und Erzählungen für Kinder. Die Mutter zeichnete, entwarf Muster für Perlenstickereien und stellte Puppenkleidung her. Der Filius fiel schon im Kindesalter dadurch auf, dass er bei Familienfeiern selbstverfasste Gedichte und originelle Verse vortrug.

Im Jahre 1886 zog die Familie nach Leipzig, wo der Vater sich der Künstler- und Gelehrtenszene anschloss. Seit 1901 war er Herausgeber von „Auerbachs Deutschem Kinderkalender“, in dem Ringelnatz seine Werke veröffentlichte, nachdem er schon im Alter von neun Jahren das von ihm selbst geschriebene und illustrierte Buch „Landpartie der Tiere“ herausgegeben hatte. Doch trotz seines Humors und seiner literarischen Begabung ließen sich seine Mitschüler nicht davon abhalten, ihn wegen seiner schmächtigen Statur und seiner eigentümlichen Gesichtszüge zu hänseln. Auch mit seinen Lehrern, deren Geduld er mit vielen Streichen strapazierte, kam er nur schwer zurecht. Irgendwann hatte er den Bogen überspannt und flog vom Gymnasium. Nach zwei Jahren in einer privaten Erziehungsanstalt bekam er 1901 das Reifezeugnis, auf dem vermerkt war, er sei ein „Schulrüpel ersten Ranges“.

Nun zog es ihn als Seemann hinaus in die Welt, und er heuerte auf der Oldersumer Bark „Elli“ an. Die Sehnsucht nach Abenteuer schien sich zu erfüllen, doch war er vielen Entbehrungen, harter Arbeit und Erniedrigungen ausgesetzt. Er musterte ab und schlug sich mit Hilfsarbeiten durchs Leben. Gelegentlich fuhr er auch wieder zur See. 1903 trat Ringelnatz als Einjährig-Freiwilliger in die Marine ein, diente auf einem Kreuzer und schied als Bootsmannsmaat aus. Anschließend begann er eine Kaufmannslehre, die er jedoch schon nach kurzer Zeit abbrach. Er reiste nach England, trat als Musikant auf und landete schließlich als Obdachloser vorübergehend im Gefängnis von Antwerpen. Nebenher malte und dichtete er.

In München kam für ihn 1909 die Wende. Hier fand er Anschluss an die künstlerische Bohème. Auch wenn er deren Mitgliedern intellektuell unterlegen war, lernte er berühmte Künstler wie Klabund, Hermann Hesse, Erich Mühsam und Max Reinhardt kennen und veröffentlichte in Zeitschriften Gedichte und Novellen. Unter verschiedenen Pseudonymen schrieb er für die satirische Zeitschrift „Simplicissimus“ und veröffentlichte mehrere Bücher. Eine Anstellung als Privatbibliothekar verhalf ihm erstmals zu einem regelmäßigen Einkommen.

Bei Ausbruch des Weltkrieges meldete er sich als Freiwilliger zur Marine. Erfüllt von der verherrlichenden Darstellung der Marine, war er alsbald ernüchtert, als er die Realität des schikanösen Alltags auf einem Minensuchboot erlebte. Da er sich dagegen auflehnte, galt er bald als Querulant, wurde aber dennoch Reserveoffizier. Als Leutnant diente er in Cuxhaven, wo in den Fenstern vieler Häuser getrocknete Seepferdchen hingen, die von den Seeleuten „Ringelnass“ genannt wurden. Von diesem Begriff leitete er wohl seinen Künstlernamen ab, unter dem er von Ende 1919 an auftrat. In dieser Zeit entstand auch die Figur des Seemanns „Kuttel Daddeldu“, die in vielen seiner Gedichte auftaucht.

Nach dem Krieg reiste Ringelnatz durch die großen Städte Europas und war unermüdlich künstlerisch tätig. Bis 1934 veröffentlichte er fast 20 Bücher, darunter Gedichtbände, Bühnen- stücke, Kinderbücher und zwei Autobiografien, und malte Bilder, die erstmals 1923 in der Berliner Galerie Flechtheim und später in der Akademie der Künste ausgestellt wurden. Außerdem trat er im Matrosenanzug in selbst geschriebenen Kabarettstücken und im Rundfunk auf. 1933 erhielt er Auftrittsverbot, und viele seiner Bücher landeten auf dem Scheiterhaufen.

Bald machten sich die Symptome einer Tuberkulose bemerkbar. Freunde und bekannte Künstler finanzierten dem verarmten Mann mehrere Sanatoriumsaufenthalte, doch im Oktober 1934 wurde er als unheilbar krank nach Hause entlassen. Am 17. November schloss Joachim Ringelnatz, der Zeit seines Lebens eine skurrile und tragische Gestalt gewesen war, für immer die Augen. Wirklich berühmt wurde er erst nach seinem Tod vor 75 Jahren.        Jan Heitmann


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