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14.11.09 / Wie die SPD Volkspartei wurde / Vor 50 Jahren gab sich die bisherige Arbeiterpartei das Godesberger Programm

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-09 vom 14. November 2009

Wie die SPD Volkspartei wurde
Vor 50 Jahren gab sich die bisherige Arbeiterpartei das Godesberger Programm

Auf ihrem Außerordentlichen Parteitag vom 13. bis 15. November 1959 in Bad Godesberg gab sich die SPD ein neues Programm. Es war der entscheidende Schritt von der auf Klassenkampf festgelegten Arbeiterpartei zur Volkspartei, die alle Schichten der Wählerschaft ansprechen wollte. Daraus folgte zehn Jahre später der Ausbruch aus der bisherigen Dauer-Opposition und die „gleiche Augenhöhe“ mit den so genannten Konservativen von der CDU/CSU.

Die SPD war im 19. Jahrhundert angetreten als marxistisch orientierte Vertretung der deutschen Arbeiterschaft mit weltanschaulich durchtränktem Programm. Als sie sich nach dem Zusammenbruch 1945 unter dem bis zu seinem Tode 1952 präsidierenden Kurt Schumacher neu formierte, hoffte sie auf die Chance, dem neuen deutschen Staatsgebilde in den westlichen Besatzungszonen einiges an Sozialismus einzuweben, wohlgemerkt des „demokratischen Sozialismus“, denn von einem Zusammengehen mit den Kommunisten wollte Schumacher nichts wissen.

Das reichte aber nach 1949 nicht, um dem bürgerlichen Lager von CDU/CSU und FDP die Regierungsmehrheit streitig zu machen. Die politischen Grundpfeiler, die der CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer einzog, wurden allesamt zur Staatsgrundlage: Westintegration, Nato-Mitgliedschaft mit Bundeswehr, die „Soziale Marktwirtschaft“ Ludwig Erhards mit „Wirtschaftswunder“ etc. Die SPD-Wahlergebnisse zum Bundestag stagnierten im „30-Prozent-Turm“: 1949 – 29,2 Prozent; 1953 – 28,8 Prozent; 1957 – 31,8 Prozent. Das „Wirtschaftswunder“ hatte sozialistische Ideen in den Hintergrund gedrängt. Da wurde das immer noch beschworene „Heidelberger Programm“ von 1925 zum Anachronismus.

Dazu kam noch Schumachers Patriotismus, der zu den weltpolitischen Gegebenheiten quer lag: Selbstbestimmung des deutschen Volkes ohne russische und US-amerikanische Überväter. Die Wiedervereinigung des geteilten Deutschland war unverzichtbar, für Schumacher wie für Adenauer. Aber der Kanzler war ein realistischer Anhänger der Lehre, dass man der Sowjetunion eine leistungsfähigere, freie Welt hinreichend bewaffnet entgegensetzen müsse. Da gehörte die Bundesrepublik hin, auch wenn so die Wiedervereinigung in die Ferne gerückt wurde.

So konnte es für die SPD nicht weitergehen. Sie musste auf die Regierung zugehen. Ernst Reuter, bis 1953 Regierender SPD-Bürgermeister von West-Berlin, hatte schon immer für ein enges sicherheitspolitisches Verhältnis mit den Westalliierten plädiert. Willy Brandt, ab 1957 Reuters Nachfolger, setzte diese Linie fort.

Auf dem Stuttgarter Parteitag (1958) wurden Waldemar von Knoeringen aus Bayern und Herbert Wehner aus Sachsen zu stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, beide sehr geeignet, das Wählerpotential auszuweiten. Knoeringen sprach als „königlich bayerischer Sozialdemokrat“ die etwas nach rechts tendierenden Wähler an und Wehner stabilisierte gleichzeitig nach links als KPD-Funktionär der Weimarer Zeit mit Nachkriegs-Wendung zum „demokratischen Sozialismus“. Dass im darauffolgenden Jahr auf dem außerordentlichen SPD-Parteitag in Bad Godesberg 321 von den 340 anwesenden Delegierten das neue Godesberger Programm annahmen, zeugte von Wehners erfolgreicher „Kärrner-Arbeit“.

Das Godesberger Programm sprach von „Grundwerten“, aber verzichtete auf deren Fundierung in der Lehre von Karl Marx. Damit wurde die SPD auch für christlich orientierte Wähler zu einem Angebot. Eine Definition des Begriffes „Sozialismus“ fand sich nicht. Aber seine Wurzeln nach SPD-Ansicht wurden angegeben, und das musste Konservative ansprechen: christliche Ethik, Humanismus, „klassische“ Philosophie. Auch das „Endziel“ des Sozialismus wurde konsensfähig formuliert, als „dauernde Aufgabe – Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen“. Der Ausdruck „Sozialisierung“ tauchte in Godesberg nicht mehr auf. Flexibler sprach man von „Gemeineigentum“, das eine „legitime Form öffentlicher Kontrolle“ nur noch dort sein sollte, „wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht geleistet werden kann“. Dies wurde kombiniert mit der Hochschätzung des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Ferner hieß es im Programm, die SPD „bejaht die Landesverteidigung“.

Die Parteitaktik des Godesberger Programms war offensichtlich. Doch die SPD hatte wirklich umgedacht. Was Wehner in Godesberg sagte, schien allerdings in die nur taktische Richtung zu verweisen: „Ich würde mich gegen ein Programm wenden, das es den Sozialdemokraten erschwert oder gar verbietet, das zu tun, was sie als Sozialdemokraten für das Allgemeinwohl und für das Wohl des Volkes schlechthin zu tun für notwendig halten, wenn sie die Macht haben.“

Die Wahlergebnisse erfüllten die Hoffnung der Väter des neuen Programms. In der Bundestagswahl von 1961 stieg die SPD von 31,8 Prozent (1957) auf 36,2 Prozent, 1965 auf 39,3 Prozent. 1966 war in der Großen Koalition mit der CDU/CSU die Regierungsbeteiligung erreicht. Bei den Wahlen 1969 fuhr die SPD 42,7 Prozent ein, es folgte die sozialliberale Koalition, und 1972 gab es das Rekordergebnis von 45,8 Prozent. Eine Erfolgsgeschichte, die ohne das Godesberger Programm nicht vorstellbar ist. Und wenn die SPD seit einigen Jahren schwächelt – dann liegt das nicht am Godesberger Programm.    Bernd Rill

Foto: Willy Brandt im Gespräch mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer: Vorstandstisch des außerordentlichen Parteitags der SPD in der Stadthalle von Bad Godesberg


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