19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
21.11.09 / Trauer braucht Platz / Der Trend zu neuen Bestattungsformen nimmt seltsame Auswüchse an – Bischof fordert Rückbesinnung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-09 vom 21. November 2008

Trauer braucht Platz
Der Trend zu neuen Bestattungsformen nimmt seltsame Auswüchse an – Bischof fordert Rückbesinnung

Die Bestattungskultur eines Volkes zeigt die Einstellung seiner Menschen zu Religion und Glaube. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich diese Kultur gewandelt – bis hin zu bizarren Auswüchsen.

„Wundersam ist die Torheit der Menschen, dass sie den Tod fürchten, dem doch niemand entfliehen kann, der allen Menschen gemein ist“, hat Martin Luther (1483–1546) in seinen „Tischreden“ geschrieben. Der moderne Mensch fürchtet den Tod offensichtlich so sehr, dass er ihn aus der Gesellschaft verbannt hat. Der Tod, das Sterben sind tabu. Erst kürzlich kritisierte der braunschweigische Landesbischof Friedrich Weber den Umgang mit der alten Friedhofs- und Bestattungskultur. In der Gesellschaft würden der Tod und die Toten als Fremdkörper ausgegrenzt und gewissermaßen entsorgt. Noch in den 70er Jahren habe er als Gemeindepfarrer erlebt, wie Tote zuhause aufgebahrt wurden. Heute sehe man im Stadtbild kaum noch Leichenwagen. Es gebe eine deutliche Tendenz, den Tod zu anonymisieren. Indem man die Toten auf Grabfeldern ohne Hinweise zu ihrer Person bestatte, nehme man ihnen den Namen, so Weber. – Und die Würde, möchte man ergänzen. – Notwendig sei eine Rückbesinnung darauf, dass der Tod und die Toten nicht dadurch ihren Schrecken und gar Bedrohung verlieren, dass man sie ausgrenzt, sondern dass beides zum Leben gehört.

Die Tradition der Bestattung hat sich im Laufe der Zeit völlig verändert. Geht man über alte Teile großer Friedhöfe, dann sieht man aufwendig gestaltete Familiengräber und sogar Mausoleen. Damals musste man sich lediglich entscheiden: Erdbestattung oder Urnengrab. Erst in jüngster Zeit ist das Interesse an alternativen Bestattungsformen gestiegen. Manche Menschen ziehen eine Seebestattung vor, andere wieder wollen anonym unter einer großen Rasenfläche begraben werden, um ihren Hinterbliebenen nicht zur Last zu fallen. Der genaue Ort ist dann nur noch der Friedhofsverwaltung bekannt. Aber Trauer braucht Platz. Und so gibt es auf einigen Friedhöfen Stelen, auf denen wenigstens die Namen der so Bestatteten zu lesen sind.

Eine Alternative zum Gräberfeld sind die so genannten Ko-lumbarien, die im Mittelmeerraum und in den Alpen bereits Tradition haben, weil es dort oft schwierig ist, in dem felsigen Boden Gräber auszuheben. So werden die Urnen in steinerne Nischenwände eingelassen, die an Schließfächer erinnern. Auf Verschlussplatten aus Granit, Sicherheitsglas oder Messing werden nur die Namen und die Lebensdaten vermerkt.

Einen ganz besonderen Ort der letzten Ruhe können Fußballfans in Hamburg finden. In Hörweite des Stadions können sich HSV-Anhänger beerdigen lassen. Es ist lediglich eine Geschmacksfrage, ob den Sarg und den Grabstein auch die schwarzweiße Raute auf blauem Grund schmücken soll.

Naturverbundenheit zeigt eine andere mögliche Bestattungsform. Im Jahr 2001 wurde der erste Friedwald im Reinhardswald bei Kassel eröffnet. Inzwischen gibt es über 80 solcher Einrichtungen, auf denen Urnen aus ökologisch abbaubarem Material zwischen den Wurzeln eines Baumes beigesetzt werden. Noch ist es allerdings in Deutschland verboten, die Asche Verstorbener in der Landschaft zu verstreuen.

Allen negativ anmutenden Erscheinungen zum Trotz bahnt sich eine neue Entwicklung an. Wer etwas auf sich hält (und das nötige Kleingeld hat), der lässt sich wie die Vorväter ein Mausoleum errichten. Der Hamburger Fotograf F. C. Gundlach hat auf dem Ohlsdorfer Friedhof in der Hansestadt einen Klotz aus Beton errichten lassen, pur und schnörkellos. Allein ein in den Beton gegossenes Foto seiner Ägyptenreise 1966, die Pyramiden und zwei Frauenköpfe zeigend, schmückt den gewaltigen Quader.  Gerold Eppler vom Kasseler Museum für Sepulkralkultur sieht darin kein Problem: „Generell kann man seiner Kreativität beim Grabzeichen völlig freien Lauf lassen – solange man die Friedhofswürde nicht verletzt.“ In der Zahl zunehmender anonymer Bestattungen sieht der Hamburger Historiker Norbert Fischer, der sich seit 25 Jahren mit Bestattungskultur und der Geschichte des Todes beschäftigt, eine Tendenz. „Es gibt heute ein breites Spektrum an Trauer- und Erinnerungskultur. Etwa Gedenkseiten im Internet, die zunehmend beliebter werden.“

Auf vielen Friedhöfen gibt es historische Grabstätten, die von Angehörigen nicht mehr gepflegt werden können. Diese Gräber werden an neue Nutzer vergeben, die eine Patenschaft übernehmen. Die Gräber stehen unter Denkmalschutz und müssen restauriert und gepflegt werden. PAZ-Leserin Hella Leuchert-Altena hat die Patenschaft über das Grab des aus Kuckerneese bei Tilsit stammenden Malers

Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892–1982) übernommen, das sich auf dem Alten Zwölf-Apostel-Friedhof in Berlin-Schöneberg befindet. Auf dem zwischen 1864 und 1879 nach Plänen des Königlichen Gartenbau-Inspektors Carl David Bouché errichteten Friedhof findet sich eine Reihe von Grabstätten bedeutender Männer und Frauen. Betritt man von der Kolonnenstraße aus  den Kirchhof, umfängt einen tiefe Ruhe. Nur von fern hört man noch das Tosen des Großstadtverkehrs. Das Grab des Richters und Dichters Ernst Wichert (1831–1902) ist schnell gefunden. Eine hohe Stele mit dem Bildnisrelief schmückt den Grabstein. Eine rote Rose inmitten des grünen Bodendeckers zeigt, dass sich jemand kümmert. Nichte Hella Leuchert-Altena wird es gewesen sein, die dem entfernten Onkel damit ein Zeichen der Zuneigung setzte. Sie hat auch dafür gesorgt, dass das Grab neu bepflanzt wurde. Das Nutzungsrecht für das Grab hat jetzt die Landsmannschaft Ostpreußen für 20 Jahre übernommen, nachdem die Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern e. V. 1989/90 im Zusammenwirken mit der Kreisgemeinschaft Insterburg die Grabanlage hatte restaurieren und wiederherstellen lassen und sich zwei Jahrzehnte darum kümmerte. Wie wichtig es ist, dass Gräber bedeutender Geistesschaffender und Künstler auch lange nach ihrem Tod gepflegt werden, zeigen zwei andere Ruhestätten auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof: das Grab des Bildhauers und Schöpfers des Neptun-Brunnens vor dem Roten Rathaus Reinhold Begas (1831–1911) und das des Malers und Akademieprofessors Anton von Werner (1843–1915). Beides sind Ehrengräber der Stadt Berlin, beide wirken ungepflegt und nicht gerade repräsentativ. In Zeiten knapper Kassen fallen Kulturdenkmäler wie auch Grabstätten dem Rotstift zum Opfer. Da können offensichtlich nur noch private Initiativen helfen.   Silke Osman

Foto: Sorgsam gepflegt: Das Grab des Dichters Ernst Wichert auf dem Alten Zwölf-Apostel-Friedhof in Berlin


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren