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28.11.09 / Die Kirche arbeitet an der falschen Frage / Wie hielt die EKD es vor 1989 mit den Menschenrechten? – Ausladung von Herta Müller als beispielhafter Fall

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-09 vom 28. November 2009

Die Kirche arbeitet an der falschen Frage
Wie hielt die EKD es vor 1989 mit den Menschenrechten? – Ausladung von Herta Müller als beispielhafter Fall

Der Streit zwischen der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schwelt weiter. Der Vorwurf ist brisant. Hat sich die EKD dem Druck des rumänischen Geheimdienstes „Securitate“ gebeugt, als Müller 1989 von einer Kirchentagsveranstaltung ausgeladen wurde?

Bei der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises durch das „Zentrum gegen Vertreibungen“ am 1. November hatte Herta Müller diesen Vorwurf an die EKD erhoben. Sie sei zusammen mit ihrem damaligen Mann Richard Wagner vom Evangelischen Kirchentag in Berlin ausgeladen worden. Die 56-jährige, aus dem Banat stammende Schriftstellerin prangerte an, dass die lutherische Kirche der deutschen Minderheit in Siebenbürgen 1989 im Sinne des rumänischen Geheimdienstes Securitate Druck auf den Evangelischen Kirchentag ausgeübt habe. So sei die Teilnahme ihres Mannes Richard Wagner an einem Kirchentagsforum verhindert worden. Frau Müller sagte daraufhin konsequent auch ihre eigene Teilnahme an jenem Forum ab.

Bei dem Forum „Die rumänische Wohnung im europäischen Haus“ sollte über die Menschenrechtslage in dem kommunistischen Land berichtet werden, das unter der vielleicht schlimmsten Diktatur in Osteuropa, unter dem Ceausescu-Regime litt. Nach einer Intervention des Geheimdienstes und des damaligen rumänischen Botschafters in Deutschland sei Wagner schließlich mit der fadenscheinigen Begründung ausgeladen worden, er sei katholisch.

Sowohl die evangelische Kirche in Siebenbürgen wie die EKD wiesen diese Vorwürfe nun zurück. Die EKD machte in ihrer Stellungnahme vom 12. November geltend, dass Müller ihre Teilnahme selbst abgesagt habe.  Die Siebenbürgener Protestanten bestreiten jede Zusammenarbeit mit der berüchtigten Securitate. Der Kirchenleitung sei es zur Zeit der kommunistischen Diktatur vor allem darum gegangen, Schaden von der Kirche abzuwenden und „die ihr anvertrauten Gläubigen heil an Leib und Seele durch die Zeit von Willkür und Gottlosigkeit zu geleiten“. 1989 habe unter dem Regime blanke Not geherrscht. Zensur und Repressalien hätten ungeahnte Formen angenommen. Die angekündigte Podiumsdiskussion habe befürchten lassen, „dass es zu (berechtigten) Anfeindungen gegen die rumänische Staatsführung kommen werde“. Der Kirche wäre daraus ein „nicht wiedergutzumachender Schaden“ erwachsen. Auch die Beziehungen zur EKD hätten leiden können. Im übrigen habe man mit der Aufarbeitung der Vergangenheit schon in der Stunde des Umsturzes im Dezember 1989 begonnen. – Schön und gut, aber ein richtiges Dementi ist das nicht.

Direkt greift der Diakoniewissenschaftler Paul Philippi, der ab 1979 in Hermannstadt tätig war,  die Literaturnobelpreisträgerin an. Ihr Werk beschäftigt sich hauptsächlich mit Deportationen und Vertreibung unter dem Diktator Nicolae Ceausescu (1918−1989). Es sei „verleumderisch“, wenn Müller eine Verfilzung und Kollaboration von evangelischer Kirche und Geheimdienst unterstelle. Gewiss habe die Kirche keine Widerstandsbewegung organisiert oder sich ins Martyrium gedrängt; im Unterschied zu damaligen Auswanderern (Müller und Wagner) habe man sich für das „Überleben im Kommunismus“ eingesetzt.

Auf diese Anwürfe hin legte nun Richard Wagner am 17. November in der „Tagespost“ eine Dokumentation der Briefwechsel aus der damaligen Zeit vor. Von der Einladung seitens des Kirchentages vom 22. Februar 1989 bis zur Ausladung vom 3. Mai 1989 passierte demnach einiges. Der damalige Botschafter Rumäniens in Deutschland Marcel Dinu bemängelte in einem Brief „die Teilnahme einer Person, die uns durch ihre oft geäußerte, offen gekündigte (!), feindselige, antirumänische Position sehr bekannt ist“. Dem Präsidenten des Kirchentags Helmut Simon und dem Generalsekretär Christian Krause wurde dieses Schreiben zur Kenntnis gegeben. In einem zweiten Brief vom 9. März schrieben die Protestanten aus Siebenbürgen an den damaligen Landesbischof von Schaumburg-Lippe Joachim Heubach ultimativ: „Wenn das Forum Rumänien vom Veranstaltungsplan nicht gestrichen wird, werden wir unsere beiden Delegierten nicht nach Berlin senden.“

Gleichzeitig, berichtete Wagner, haben er und seine Frau Drohbriefe mit Morddrohungen erhalten. Auch seine Eltern, die noch in Rumänien lebten, wurden vom rumänischen Geheimdienst besucht. Als Warnung schickte daraufhin der Vater seinem Sohn einen Brief, auf dem die Briefmarke auf dem Kopf steht. Ein verabredetes Zeichen, um von Drohungen seitens des Geheimdienstes zu berichten.

So betont Richard Wagner in seiner Dokumentation abschließend, dass die evangelische Kirche „an der falschen Frage“ arbeiten würde. Nicht die Ausladung Herta Müllers sei entscheidend, sondern allein das Verhalten des Kirchentages zu den Menschenrechten. Das „Gottesgeschäft sei von den Menschenrechten“ nicht zu trennen. Offenbar wolle die Kirche, auch nach 20 Jahren, das eigene Fehlverhalten noch immer nicht eingestehen.                   H. E. Bues


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