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28.11.09 / Austausch über Grenzen hinweg / In der ehemaligen Künstlerkolonie Dachau werden Werke

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-09 vom 28. November 2009

Austausch über Grenzen hinweg
In der ehemaligen Künstlerkolonie Dachau werden Werke von Malern aus Nidden ausgestellt

Vom Zauber der Kurischen Nehrung und ihrer insularen Lage angezogen kamen seit dem 19. Jahrhundert Forscher und Dichter wie Wilhelm von Humboldt, Louis Passarge und Walter Heymann in das kleine Fischerdorf Nidden. Später folgten Maler wie Lovis Corinth und Max Pechstein. Eine Ausstellung in der Gemäldegalerie Dachau präsentiert die künstlerische Vielfalt der dort entstandenen Werke.

Barbizon, Worpswede, Ahrenshoop, Dachau und Nidden sind heute noch bekannte Namen, die für den Begriff Künstlerkolonien stehen. Maler wie Gauguin, Vogeler, Rousseau oder Pechstein haben ihnen einen festen Platz in der Kunstgeschichte gesichert. Zum ersten Mal in einem Lexikon erwähnt wurde der Begriff „Künstlerkolonie“ im Jahr 1902. Im Brockhaus verstand man darunter „die zum Zwecke des Naturstudiums besonders von Malern seitab von den großstädtischen Kunstcentren gemeinsam gewählten Heimstätten“.

Künstlerkolonien zählen zu den späten Blüten der Romantik. Im Zuge zunehmender Industrialisierung besannen sich Maler und Schriftsteller auf den Ruf Rousseaus „Zurück zur Natur“. Fernab der meist überlaufenen Akademien wollten sie ihre Individualität wiederfinden – oder sie bewahren.

Das enge Verhältnis von Kunst und Natur wird besonders in der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts deutlich. Wenn auch die Entdecker der „paysage intime“, wie man die Maler gern nannte, die sich schon um 1840 in dem Dorf Barbizon in Frankreich niedergelassen hatten, zunächst noch an ihr Atelier gebunden waren, fand man doch bald schon die ersten Impressionisten mit ihren Staffeleien in der freien Natur. Obwohl man Barbizon nicht unbedingt als Vorbild für die deutschen Künstlerkolonien bezeichnen kann, kamen doch gerade von dort die stärksten Wirkungen und Anregungen.

Überhaupt gab es zwischen den einzelnen Künstlerkolonien einen regen grenzübergreifenden Ge-danken- und Erfahrungsaustausch. Immer wieder kann man in den Motiven der Kunstwerke wie auch in der Motivation der Künstler erstaunliche Übereinstimmungen entdecken.

Wie jeder Künstler seine eigene Handschrift entwickelt, so hat auch jede Künstlerkolonie ihre ganz besondere Eigenart. Und es waren keineswegs nur Maler, die abseits der großen Kunstzentren unter lichtem Himmel arbeiten wollten. Auch Komponisten, Schriftsteller und Schauspieler fanden ihren Ruhepol in Künstlerkolonien. Der Dichter Rainer Maria Rilke etwa war von Worpswede derart begeistert, dass er von der unvergleichlichen Landschaft schwärmte: „Wo sie (unsere Vorfahren, d. Verf.) den Mund auftaten, um zu gähnen, da tun wir die Augen auf, um zu schauen; denn wir leben im Zeichen der Ebene und des Himmels.“ Und als Thomas Mann sich 1930 ein Sommerhaus in Nidden auf der Kurischen Nehrung bauen ließ, da bemerkte er: „Der einmalige Charakter dieses Landstrichs hat nichts Einschmeichelndes, er ist nicht schön im konzilianten Sinne, aber er kann einem ans Herz wachsen, davon kann ich ein Lied singen ...“ Diese Äußerungen und natürlich die Gemälde der Künstler, die von der unvergleichlichen Schönheit der Landschaft kündeten, lockten natürlich bald auch viele Touristen an diese meist abgelegenen Winkel der Erde. Und aus war‘s mit der Ruhe.

Max Pechstein, der Nidden fünfmal besuchte, war bei seinem ersten Besuch vollauf begeistert. An Erich Heckel schrieb er 1909: „Bin seit gestern in Nidden / Ostpreußen – ganz fein auf der einen Seite Süßwasser im Haff, auf der anderen die Ostsee, man könnte auf der Seeseite sehr gut Akte malen, so menschenleer ist es. Bloß vier Sommergäste hier.“ Zwei Jahre später sah es dann anders aus. Pechstein 1911: „... wie sehr hat es sich verändert in meinen zwei Jahren Abwesenheit, ist viel besuchter und damit unangenehmer geworden durch die üblichen Neubauten. Aber trotz allem eine reiche Fundgrube für einen Maler...“

In Nidden lebten die Künstler oft bei Fischern und lernten so auch ihren harten Alltag kennen. Andere wieder zogen das Logis im Gasthof Blode vor. Im 1867 gegründeten Haus fanden sie für einige Wochen, manche sogar für Monate Unterkunft. Schon vor der Jahrhundertwende waren sie von nah und fern auf die Nehrung gekommen, um dort zu malen. Professoren von der Königsberger Kunstakademie brachten später ihre Schüler dort unter. Auch Lovis Corinth, Oskar Moll und Max Pechstein bezogen für eine Weile das von Hermann Blode eingerichtete Atelier. Viele Künstler bezahlten ihre Schulden bei Blode übrigens mit Kunstwerken, so dass bald eine ansehnliche Sammlung die Wände des Gasthofes zierte.

Als der Wirt 1934 starb, übernahm sein Schwiegersohn, der Maler Ernst Mollenhauer, der 1920 Blodes Tochter Hedwig geheiratet hatte, die Leitung des Gasthofes. Er blieb bis zum bitteren Ende auf der Nehrung und musste mit ansehen, welches Unheil in diesem Paradies angerichtet wurde.

„Wer war nicht in den Bann dieses Zaubers geschlagen, der seinen Fuß auf dieses Eiland setzte?“ schrieb Mollenhauer. Nidden wurde „nicht nur für die neuere Kunst des deutschen Ostens bedeutsam, Nidden bewirkte noch wesentlich mehr. Es war eine Malerlandschaft mit Licht und Raum und Wasser und Sonne.“

Nicht von ungefähr sind die Bilder der Maler von Nidden jetzt in Dachau zu sehen. Gab es dort doch zwischen 1885 und 1905 ebenfalls eine Künstlerkolonie, die mit Namen von so bedeutenden Malern wie Carl Spitzweg oder dem im mährischen Olmütz geborenen Adolf Hoelzel aufwarten kann. Auch Christian Morgenstern, der Großvater des Dichters der Galgenlieder und ein ausgezeichneter Maler, fand in Dachau seine Motive. Emil Nolde, Paula Wimmer und Ida Kerkovius hielten sich dort ebenfalls eine Zeit lang auf.

Die Bilderschau in Dachau zeigt einmal mehr, dass große Kunst nicht nur in den Metropolen ein Publikum findet, sondern auch in der „Provinz“, die immer gern herablassend belächelt wird. Silke Osman

Die Ausstellung in der Gemäldegalerie Dachau. Konrad-Adenauer-Straße 3, ist bis zum 14. März 2010 dienstags bis freitags von 11 bis 17 Uhr, am Wochenende und feiertags von 13 bis 17 Uhr geöffnet, Katalog 16 Euro.

Foto: Max Pechstein: Fischerboote in Nidden (Öl, 1912)


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