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28.11.09 / Soldaten statt Früchte / Eine Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum informiert über sozialistisches Bildungssystem in der DDR

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-09 vom 28. November 2009

Soldaten statt Früchte
Eine Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum informiert über sozialistisches Bildungssystem in der DDR

Vor einer Verklärung der DDR-Vergangenheit hat Bundespräsident Horst Köhler erst kürzlich wieder gewarnt. Die Opfer der DDR-Diktatur müssten heute miterleben, das Verantwortliche keine Reue zeigen. Aufklärung über den sozialistischen Alltag ist notwendig, um einer „Ostalgie“ entgegenzuwirken. Wie der Schulalltag in der DDR gestaltet wurde, ist auf einer Sonderausstellung in Lohr am Main zu sehen.

„Eine Kanone der NVA wird von fünf Soldaten bedient. Bei einem Übungsschießen sind sechs Kanonen eingesetzt. Wie viele Soldaten nehmen an der Schießübung teil?“ Während man in Westdeutschland die Schulkinder mit Hilfe von Äpfeln und Birnen in so genannten eingekleideten Aufgaben das Rechnen lehrte, wurden ihre Altersgenossen im anderen Teil Deutschlands noch bis 1989 mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert. Soldaten statt Früchte hieß es in einem Rechenbuch der 2. Klasse. Mit einer Sonderausstellung über das sozialistische Schulsystem der DDR informiert das Lohrer Schulmuseum derzeit über ein Schulwesen, dessen Ziel „die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ war.

Zusammengetragen hat die vielfältigen Exponate der Gründer des Museums, Eduard Stenger. „Gleich nach der Wende habe ich einen großen Fundus einer DDR-Schule und des Instituts für Lehrerbildung (IFL) in Meiningen übernommen, ergänzt durch weitere Exponate aus anderen Schulen, so dass wir inzwischen über sehr viel Material zum Thema DDR-Schule verfügen und ein eigenes Museum zu diesem Thema eröffnen könnten“, erzählt Stenger der PAZ. Der Lehrer und einstige Rektor an einer Grundschule befindet sich seit einigen Jahren im Ruhestand und kann sich nun eingehend dem vor 20 Jahren für die Stadt Lohr am Main gegründeten Museum widmen.

Die Einrichtung, die in einer ehemaligen Schule beziehungsweise Kindergarten untergebracht ist, zählt national wie auch international zu den attraktivsten Schulmuseen. „Der Platz für Sonderausstellungen ist natürlich begrenzt und erstreckt sich auf den Gewölbekeller des Museums mit insgesamt zehn Tischvitrinen, einer Wandvitrine, die umlaufenden Wandseiten und entsprechende Stellwände“, erläutert Stenger. „Das Informationsangebot ist beachtlich und wird noch ergänzt durch eine weitere Vitrine sowie Wandbilder in der ständigen Ausstellung des Museums und durch die Thematik des auf die Zeit von 1789 bis 1989 gesellschaftlich-politisch ausgerichteten Museums.“

Interessant sei es, so Stenger und kommt dabei auf die aktuelle Sonderausstellung zurück, dass der ideologische Druck auf das Schulwesen in den 70er Jahren verstärkt wurde, ausgerechnet in einer Zeit, da man sich allgemein um Entspannung bemühte. „Bei einem Vergleich von DDR-Schulfibeln für das 1. Schuljahr aus den Jahren 1970 und 1976 kann man nahezu eine Verdoppelung ideologischer Themen feststellen.“ Immer wieder werde der militärische Schutz des Vaterlandes als ein notwendiges Instrument der Friedenssicherung und des Schutzes gegen den kapitalistischen Klassenfeind betont.

Geradezu bizarr sind die Gründe, die für den Mauerbau angeführt wurden. Da ist in einem Schulbuch für die 4. Klasse von vergifteten Erntebindfäden die Rede, die etwa 5000 Rinder in der DDR das Leben gekostet hätten, von in Brand gesteckten Bauernhöfen – Schuld hatten natürlich die „Imperialisten und Großgrundbesitzer“ aus dem Westen. Im Westen unvorstellbar ist auch der so genannte „Symbolikplatz der Pionierfreundschaft“, der sich in der Aula der Schule befand. Gruppenwimpel, Fanfare, Trommel, Ehrenbuch der Pionierfreundschaft sowie eine Büste oder ein Bild von Ernst Thälmann, von 1925 bis 1933 Vorsitzender der KPD, waren fast wie ein Altar aufgebaut und kündeten von der Allgegenwart der SED. „Die DDR-Schule und die sozialistischen Kinder- und

Jugendorganisationen ,Pioniere‘ und ,Freie Deutsche Jugend‘ (FDJ) bildeten eine untrennbare Einheit“, so Stenger. „Zum Aufgabenbereich der Lehrer gehörte daher auch die Betreuung dieser Organisationen mit den verschiedensten Aktionen über das gesamte Schuljahr. Nach einer Broschüre, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ / Abteilung Schuljugend, waren das im Schuljahr 1978 / 79 rund 90 Veranstaltungen.“

Eduard Stenger, selbst engagierter Pädagoge, erkennt: „Für die Lehrerschaft bedeutete die sozialistische Kinder- und Jugendarbeit eine erhebliche zusätzliche Belastung, der sie zu entsprechen hatte, das Lehrplanwerk 1972 der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR definierte den ideologischen Aufgabenbereich mit zwei grundlegenden Sätzen: ,Der Lehrer erzieht die Schüler zu Verhaltensweisen, wie sie der Moral der Arbeiterklasse entsprechen. Er hält sie dazu an, klare Standpunkte zu beziehen, sich mit feindlichen und fehlerhaften Argumenten auseinanderzusetzen und im Unterricht, in der Pionier- und FDJ-Organisation, in Situationen des täglichen Lebens diesem Standpunkt entsprechend parteilich zu handeln.‘“            Silke Osman

Die Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum, Ortsteil Lohr-Sendelbach, ist bis 25. Oktober 2010 mittwochs bis sonntags sowie feiertags von 14 bis 16 Uhr geöffnet, Eintritt frei.

Foto: Trotz oberflächlicher Entspannung: In den 70er Jahren erhöhte sich in der Schule der ideologische Druck.


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