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19.12.09 / Was Hänschen nicht lernt... / Anstand und Sitte aus sieben Jahrhunderten − Eine Ausstellung im Bremer Focke-Museum

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-09 vom 19. Dezember 2009

Was Hänschen nicht lernt...
Anstand und Sitte aus sieben Jahrhunderten − Eine Ausstellung im Bremer Focke-Museum

Benimmkurse sind innerhalb kurzer Zeit ausgebucht, Ratgeberliteratur verkauft sich erfolgreich wie nie zuvor. „Knigges“ für alle Lebenslagen überschwemmen den Markt. Eine neue Ausstellung im Bremer Focke-Museum erzählt  Geschichten um gute und schlechte Manieren.

„Sitz gerade! Nimm die Ellenbogen vom Tisch! Schmatz nicht so. Warte, bis alle fertig sind, dann kannst du aufstehen. Rede erst, wenn du gefragt wirst. Unterbrich die Erwachsenen nicht!“ Verhaltensmaßregeln aus der Kindheit, an die man sich (nicht immer gern) erinnert. Aber haben diese Anweisungen geschadet? Ganz gewiss nicht. Um so erstaunter beobachtet man Kinder von heute, wenn sie während der Mahlzeit den Tisch verlassen, um an Gameboy oder Playstation schnell eine Runde zu spielen. Manchmal sind die Bauklötze im Kinderzimmer interessanter als die Spaghetti auf dem Tisch. Es gibt auch schon Knirpse, die laufen unsicher vom Spielzeugberg zum Tisch, bekommen einen Löffel voll Brei in den Mund geschoben und trippeln wieder zurück zum Spielzeug: „Anders bekomme ich ihn nicht satt“, stöhnt die Mutter und ahnt wohl nicht, was sie damit anrichtet. Dieses Kind wird sich kaum an geregelte Mahlzeiten und entsprechende Tischsitten gewöhnen.

Gutes Benehmen kommt nicht automatisch. Es muss geübt werden. Entscheidend ist das Vorbild zu Hause. Wenn Vater während der gemeinsamen Mahlzeit die Zeitung liest und Mutter wie gebannt auf den Bildschirm starrt, was soll Kind da schon lernen?

Auch die beiden Zauberwörter, die das gemeinsame Leben so viel angenehmer machen, können selbst kleine Kinder ohne Probleme lernen: „Bitte“ und „danke“, dazu ein kleines Lächeln erleichtern auch Erwachsenen den Einstieg in so manches Gespräch. Eine der wenigen Umgangsformen, die über die Jahrhunderte gleich geblieben sein mögen. Doch nicht immer haben sich die Manieren gehalten. Woher kommen sie überhaupt? Wie haben sie sich über die Jahrhunderte entwickelt? Und wie war das eigentlich mit Adolph Freiherr von Knigge? Diesen Fragen spürt die Sonderausstellung im Bremer Focke-Museum nach: Unter dem Titel „Manieren. Geschichten von Anstand und Sitte aus sieben Jahrhunderten“ findet der Besucher auf 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche mehr als 200 hochwertige Exponate.

„Neben bedeutenden Gemälden und Druckgraphiken, Fotografien, kostbaren Porzellan- und Silberschmiedearbeiten finden sich zahlreiche aus dem Alltag vertraute Gegenstände“, so die Ausstellungsmacher. „All diese Objekte erzählen Geschichten von den Ursprüngen und Erscheinungsformen gesellschaftlicher Regeln und Tabus, vom Streben nach gefälliger Selbstdarstellung, von Rücksichtnahme und Distanzverlust, von Feinsinn und Rüpelei, von Peinlichkeitsschwellen und deren lustvoller Überschreitung, aber auch von Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung.“

13 Kapitel führen durch die Ausstellung. Der Besucher erfährt unterhaltsame Geschichten von Anstand und Sitte, von der Anstandsliteratur über die Tischkultur bis zum Verhalten im öffentlichen Raum und der Kultivierung schlechter Manieren.

„Seit dem Mittelalter bestimmen das Bedürfnis, Ekel zu vermeiden, und der Wunsch nach gesellschaftlicher Auszeichnung die Ausbildung von Tischmanieren“, weiß Anne-Katrin Axt vom Museum zu erzählen. „Die Standards waren zu allen Zeiten hoch, wenngleich die Formen wechselten. In dem Ausstellungsteil ,An der Tafel‘ werden nicht nur kostbares Tafelgerät aus den unterschiedlichen Epochen gezeigt, sondern auch Gemälde und Druckgraphiken, die schildern, mit welcher Raffinesse es von den Vornehmen der Zeit gehandhabt wurde.“

Wie ändern sich die Zeiten, und das nicht unbedingt zum Besten. Ein einziges Bild macht dies deutlich. Während heutzutage Wein sogar aus dem Tetrapack getrunken wird, war es einst vorgeschrieben, wie man ein Weinglas zu halten hatte. Der Mann auf dem Plakat, das für die Bremer Ausstellung wirbt, fasst das Glas am unteren Rand zwischen Daumen und Zeigefinger an – ganz so, wie es um 1650 in vornehmen Kreisen üblich war.

Stets faszinierten auch die „Manieren der anderen“. Der beiläufige Blick über den Zaun war aber nicht immer möglich und so ergötzte man sich an holländischen Genrebildern des 17. Jahrhunderts, auf denen ausgelassen feiernde Bauern zu sehen waren. Die oberen Klassen, die einem steifen Zeremoniell verpflichtet waren, schufen sich gesellschaftliche Freiräume wie das Trinkgelage, bei dem voluminöse Humpen und Scherzgefäße herumgingen und gesellschaftliche Zwänge hemmungslosen Besäufnissen anheimfielen.

Immer hat es Ausschweifungen und eine Umkehr des Gewollten gegeben. Rücksichtnahme und Verehrung der Frau brachten im 17. Jahrhundert die Galanterie hervor, ursprünglich zurückhaltende Umgangsformen, die allerdings bald gezielt eingesetzt wurden, um zur Erfüllung amouröser Wünsche zu gelangen. Mit Hilfe von Fächern wurden Botschaften gesendet, in Rollenspielen kamen Männer und Frauen einander näher. Der Adel träumte sich in Parallelwelten wie die Idylle der Schäfer, die im Rokoko immer wieder auf Gemälden und in Porzellan dargestellt wurde.

Wie sehr die moderne Technik Althergebrachtes und für gut Befundenes zerstört, macht ein Blick auf gängige E-Mails deutlich: Oft werden die Anrede weggelassen und abschließende Grußflos-keln (MfG statt Mit freundlichen Grüßen) abgekürzt. Ganz findige Zeitgenossen benutzen die Abkürzungen aus der SMS-Welt des Handys (IHDL: Ich hab dich lieb). „Noch die banalste briefliche Mitteilung wurde bis ins 20. Jahrhundert mit einer respektvollen Anrede eingeleitet und einer Ergebenheitsadresse abgeschlossen“, erläutert Anne-Katrin Axt. „Feste Standards galten für den Geschäftsbrief ebenso wie die private Korrespondenz. Diese ,Floskeln‘ beherrschten schon Kinder durch die Übung fast täglich verfasster schriftlicher Mitteilungen. Dem Unkundigen gaben so genannte ,Briefsteller‘ Anleitungen zur Einhaltung der korrekten Form.

„Wir wollen keine Benimmregeln vermitteln. Die Ausstellung regt zum Nachdenken an, gibt aber auch den komischen Seiten der Etikette Raum“, beschreibt Ausstellungskurator Urs Roeber das Anliegen der Ausstellung.            Silke Osman

Die Ausstellung im Bremer Focke-Museum, Schwachhauser Heerstraße 240, ist bis 30. Mai 2010 dienstags von 10 bis 21 Uhr und mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt 8 / 6 Euro.

Bild: Jan Baptist Weenix: Bildnis eines Mannes mit Weinglas        Bild: bpk


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