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09.01.10 / Was die Welt zusammenhält... / Im zweiten Anlauf soll der Teilchenbeschleuniger LHC letzte Rätsel der Physik lösen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-10 vom 09. Januar 2010

Was die Welt zusammenhält...
Im zweiten Anlauf soll der Teilchenbeschleuniger LHC letzte Rätsel der Physik lösen

Nach pannenbedingter einjähriger Zwangspause hat der weltweit größte Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) auf Anhieb einen Energieweltrekord aufgestellt. Nun erwarten Physiker und Kosmologen in den nächsten zwei bis drei Jahren den wissenschaftlichen Durchbruch.

Als Johann Wolfgang Goethe seinen Faust fragen ließ, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, hatte dessen „Messinstrument“ einen Umfang von allenfalls 60 Zentimetern. Heute, gut zwei Jahrhunderte später, ist die Frage immer noch offen. Doch das Instrument, von dem man sich nun endlich eine Antwort erhofft, hat einen Umfang von 2,7 Millionen Zentimeter. Der Denker Faust nämlich arbeitete ausschließlich mit dem Kopf, der moderne Forscher hingegen mit einem Gerät namens LHC.

Die Abkürzung steht für „Large Hadron Collider“ und bezeichnet einen Teilchenbeschleuniger in Form einer 27 Kilometer langen unterirdischen Ringbahn. Hier sollen Protonenpakete gegenläufig auf 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, um sie dann aufeinanderprallen zu lassen. Die Kollisionstrümmer, so hofft man, könnten dann das erkennen lassen, was „die Welt im Innersten zusammenhält“.

Die drei Milliarden Euro teure Anlage ist das Herzstück des weltweit größten Kernforschungszentrums CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) am Genfer See. Die 20 europäischen Mitgliedsstaaten stellen fast 3500 Mitarbeiter. Hinzu kommen an die 9000 Gastwissenschaftler aus 85 Nationen, die mit Aufbau und Auswertung der Experimente beschäftigt sind. Der Jahresetat liegt bei knapp 700 Millionen Euro, von denen Deutschland 144 Millionen trägt.

Der neue Superbeschleuniger LHC soll es den Wissenschaftlern erstmals erlauben, im Labor Zustände zu erzeugen, wie sie vor über 13 Milliarden Jahren herrschten, kurz nach dem Urknall, aus dem unser Universum entstand. In insgesamt sechs Experimenten versucht man nun, den dabei entstehenden Teilchen auf die Spur zu kommen.

Was dabei tatsächlich gefunden wird, ist vorerst noch reine Theorie. Das so genannte Standardmodell kann zwar den Aufbau der Materie bis hinunter zur Ebene der Quarks und Leptonen ebenso erklären wie drei der vier in der Natur wirkenden Kräfte (elektromagnetische, schwache und starke Kernkraft). Die Schwerkraft aber lässt sich in diese Theorie nicht einfügen. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie eigentlich aus Energie Masse werden kann.

Viele offene Fragen glauben die Physiker heute in der Theorie beantwortet zu haben: Offenbar gibt es neben der von uns Menschen wahrnehmbaren Materie (aus der wir ja auch selber bestehen) spiegelbildlich gleiche Antimaterie – aber wie sieht es mit deren Verteilung im All aus? Offenbar gibt es auch Dunkle Materie und Dunkle Energie, die sich bislang nur indirekt durch Schwerkraftwirkungen verrät – aber woraus besteht sie? Offenbar gibt es neben den bislang bekannten Elementarteilchen das so genannte Higgs-Boson – aber ist dieses rätselhafte Teilchen wirklich das, was „die Welt im Innersten zusammenhält“?

Diese und weitere Theorien und Mutmaßungen soll der LHC nun erstmals experimentell nachweisen. Die meisten Wissenschaftler sind zuversichtlich und erinnern daran, dass auch die kühnen Theorien Einsteins und Plancks sich erst viel später in Versuchen bestätigt haben. Kritische Beobachter sind weniger zuversichtlich; sie sehen in der anfänglichen Pannenserie ein böses Omen. Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Der Large Hadron Collider (LHC): In einem 27 Kilometer langen Tunnel in 50 bis 150 Meter Tiefe im Untergrund von Genf werden einzelne Atome mit 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen.

 

Zeitzeugen

Leukipp – Der aus dem kleinasiatischen Milet stammende Philosoph lebte im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Er gilt gemeinsam mit seinem Schüler Demokritos (460-371 v. Chr.) als Begründer des Atomismus, denn er postulierte, dass alle Materie der Welt aus kleinsten, nicht mehr teilbaren Bauteilchen bestehe. Erst 2400 Jahre später erwies sich, dass die nach Leukipp und Demokrit benannten Atome (griechisch: „die Unteilbaren“) zwar existieren, aber eben doch teilbar sind – dies war der Beginn der modernen Elementarteilchenphysik.

 

Albert Einstein – Der Physiker und Nobelpreisträger (1879- 1955) hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie kein anderer Wissenschaftler das Bild der Welt revolutioniert. Viele Aussagen seiner Relativitätstheorien wurden erst Jahrzehnte später experimentell bestätigt. Seine berühmte Formel E = mc2, erstmals formuliert im Jahr 1905, besagt, dass Energie und Masse letztlich zwei Erscheinungsformen ein und desselben Phänomens seien. Dass dies so ist, wurde längst experimentell bewiesen – warum es so ist, soll nun der LHC in Genf zeigen.

 

Immanuel Kant – Der Königsberger Philosoph (1724-1804) war auch einer der bedeutendsten Kosmologen seiner Zeit. Mit seinem Satz „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“ formulierte er die bis heute gültige Begründung, warum der Mensch nicht nur nach den praktischen Dingen des Alltags, sondern auch nach dem Ursprung des Lebens und des Universums forschen soll.

 

Edwin Hubble – Der US-amerikanische Astronom (1889-1953) entdeckte 1924, was Immanuel Kant schon lange vorher vermutet hatte: dass der Andromedanebel eine eigenständige Galaxie weit außerhalb unserer Milchstraße ist. Später zeigte er auch, dass unser Universum expandiert und aus Milliarden solcher Galaxien besteht. Der Erforschung des Ursprungs dieses 13,7 Milliarden Lichtjahre großen Alls dient auch der Blick in die kleinsten Teilchen der Materie mit Hilfe des LHC.


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