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09.01.10 / Tschechischem Jagdwesen droht Brutalisierung / Neue Gesetze haben die Wilderei in den böhmischen Ländern zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft – Jäger üben Selbstjustiz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-10 vom 09. Januar 2010

Tschechischem Jagdwesen droht Brutalisierung
Neue Gesetze haben die Wilderei in den böhmischen Ländern zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft – Jäger üben Selbstjustiz

Herbst- und Winterzeit ist Jagdzeit. Dieses gilt gerade in Revieren Böhmens und Mährens, wo Sankt Hubertus, der Schutzpatron der Jäger, seit über 600 Jahren zu Hause zu sein scheint.

Die Tschechische Republik misst 7886895 Hektar, von denen 6850000 Hektar Jagdfläche sind. Bis vor 20 Jahren war die Jagd Privileg hoher Parteibonzen, seither sorgen 100000 Mitglieder der Böhmisch-Mährischen Jägervereinigung für Ordnung im Wald und beim Wild. Der Bestand scheint unerschöpflich: In der Jagdsaison 2008/09 wurden 127000 Rehe, 21000 Hirsche, 139000 Wildschweine und 105000 Hasen zur Strecke gebracht, wobei die Abschüsse nur ein Drittel des Tierbestandes ausmachten und leicht wieder ausgeglichen wurden.

Brüder im Jagdgeist sind die 350000 tschechischen Angler, die in 41000 Hektar Gewässern fischen – derzeit besonders eifrig, denn ein tschechisches Weih­nachten ohne Karpfen ist ein Unding. Mit den Jägern verbindet sie der Zorn auf fremde Eindringlinge, womit nicht etwa Jagd- und Angelgäste aus Deutschland gemeint sind. Die haben ihre Gebühren gezahlt, beispielsweise 450 Euro für ein schweres Schwarzwild, und sie verstehen ihre Sache so gut, dass man ihnen nur „Lovu zdar“ oder „Petru zdar“ wünscht, „Weidmanns heil“ und „Petri heil“ auf tschechisch.

Richtigen Ärger machen hingegen die Wild- und Fischdiebe, beide „Pytlaci“ genannt – von „pytel“, hinter dem leicht der deutsche „Beutel“ zu erkennen ist. Auch bei Tschechen gab und gibt es noch eine Wildschütz-Romantik, während Jäger vielfach von Tierschützern als „Mörder“ verunglimpft werden. Umgekehrt wäre es zutreffender: Die „pytlaci“ sind Mörder, die mit dickem Geländewagen anreisen, das Wild mit Scheinwerfern blenden, es aus schierer Mordlust abknallen und sich nur für Geweihe interessieren. Die „traditionellen“ Wilddiebe jagen mit Flinte und Schlinge und verhökern ihre Beute an Restaurants. Seit Neuestem hat die Jagdlust auch ukrainische Gastarbeiter auf tschechischen Bauten gepackt, die mit Handgranaten auf Wildtiere und Fische losgehen. Wildhüter trauen sich schon lange nicht mehr in nächtliche Wälder, wenn aus denen Schüsse tönen: Die neuen „pytlaci“ schießen nicht nur auf Tiere.

An der Wilddieberei sind die Jäger selber mit schuld. Sie haben in den letzten Jahren die Bestände an Niederwild (Hasen, Fasane) vernachlässigt, die an Haar- und Hochwild (Rehe, Hirsche) übermäßig gefördert, was auch den Wilddieben sehr gefiel. Die Tiere haben Schonungen zerbissen, was einen eskalierenden Dauerkrach zwischen Jägern und Waldbesitzern auslöste.

So weit, so unerfreulich – und ab dem 1. Januar 2010 wird alles noch schlimmer. Dann tritt das neue Strafgesetz in Kraft, bei dem die „pytlaci“ wohl mitgewirkt haben. Früher war schon das Töten eines Hasen eine Straftat, künftig müssen die gewilderten Tiere oder gestohlenen Fische den Wert von 5000 Kronen (etwa 192 Euro) haben, wenn ihre Aneignung als Straftat gelten soll. Den Wert sollen gerichtliche Schätzer taxieren, die entweder keine Ahnung von Wildbret oder kein Interesse an der Verfolgung von „pytlaci“ haben. Jäger befürchten eine Invasion von Wilddieben – Experten sind überzeugt, dass höchstens fünf Prozent aller Jagddelikte als Straftaten qualifiziert werden, während das Gros als Ordnungswidrigkeit durchgeht.

Was da auf böhmische und mährische Jäger zukommt, können selbige bereits bei Anglern beobachten. Wer eine Angelerlaubnis hat, darf zwei Karpfen fangen – wird er mit einem dritten erwischt, war er bislang einer Straftat schuldig. Nachdem seit Neujahr 2010 die Wertgrenze von 5000 Kronen zur Qualifizierung einer Straftat gilt, müsste man nun bei einem Kilopreis von 65 Kronen 80 Kilo Karpfen fangen und damit gefasst werden, um als Straftäter zu gelten. Also: Wilddieberei gilt in Tschechien als Kavaliersdelikt, Fischdiebstahl ist praktisch straffrei.

Tschechische Jäger machen schon heute mit Wilddieben kurzen Prozess, wenn sie es können, etwa mit wildernden Hunden und Katzen, die sie in jeder Jagdsaison zu Zehntausenden abschießen. Auch ist offenes Geheimnis, dass ukrainische Wasserleichen in Tschechien selten Unglücksfälle und eher Racheakte betrogener Fischpächter sind. Tschechische Jäger schonen seit Jahren Rehwild, um Verluste durch Wilddieberei auszugleichen. Wenn Waldfrevel künftig grassiert, ist eine Brutalisierung in Tschechiens Jagdwesen unvermeidlich. Wolf Oschlies


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