20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.01.2010 / Grüne einst und jetzt - zwei verschiedene Welten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-10 vom 16. Januar 2010

Gastbeitrag
Grüne einst und jetzt - zwei verschiedene Welten
von Rolf Stolz

Als die Grünen am 13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründet wurden, entstand zum ersten Mal seit über 30 Jahren in Westdeutschland wieder eine neue und überlebensfähige Partei – und zugleich die erste ökologische Massenpartei der Welt. Das Embryonalstadium der für die Europawahlen 1979 gebildeten „Sonstigen Politischen Vereinigung (SPV) Die Grünen“ (ein Achtungserfolg: 3,2 Prozent) war überwunden. Dieselbe Klatschjournaille, die heute im Rückblick am Gründungsparteitag nur „Stricken und Streiten“ wahrnimmt, verkündete damals das baldige Ende der Grünen. Aber siehe da, diese überlebten und haben sich etabliert im deutschen Parteienbetrieb. Sie sind nicht im randständigen Sektierertum untergegangen wie die K-Gruppen, allerdings sind sie auch nicht das geworden, was ihre Gründer gehofft und ihre Gegner gefürchtet hatten: das Kraftzentrum des Widerstands gegen die Naturzerstörung, gegen Wachstumswahn und Kriegstreiberei, der Motor des Kampfes für ein anderes und besseres Deutschland, für ein Regenbogen-Gesamteuropa freier Völker und souveräner demokratischer Nationen. 

1980 war die in Potsdam und Jalta gestiftete alte Ordnung der zweigeteilten Kalten-Kriegs-Welt noch in Kraft, aber längst moralisch diskreditiert und ebenso in einem Prozess machtpolitischer Auflösung wie die amerikanisch-großkapitalistische Hybris der 50er und 60er Jahre. Die USA waren in Vietnam geschlagen, die UdSSR hatte sich in Afghanistan auf denselben Weg zum selben bitteren Ende begeben. Zehn Jahre später verschwand auch dieses „Tausendjährige“ Reich.

1980 wurden die Grünen getragen von einer breitgefächerten Bewegung aus Umwelt- und Lebensschützern, Friedensaktivisten, Bürgerinitiativlern, herrschte eine große  Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Standpunkte. Genau das ging allzu bald verloren. Die Grünen wurden erst stromlinienförmig, dann sterbenslangweilig. Wäre die Formel „von Gruhl bis Dutschke“ (also von Wertkonservativen bis hin zu  basisdemokratischen Sozialisten) Richtschnur für den Aufbau der Partei geblieben, hätte zumindest die Chance bestanden, jene meist pseudolinken Karrieristen und Apparatschiks zu neutralisieren, die aus dem bunten Sponti-Sumpf, aus den verknöcherten neostalinistischen Kleinstsekten und von den etablierten Parteien her sich alsbald herandrängten.

Betrachtet man die Differenz zwischen Einst und Jetzt, zwischen 1980 und 2010, so haben wir es mit zwei verschiedenen Parteien, zwei verschiedenen Welten zu tun. Die heutige grüne Partei hat außer einigen ideologischen Worthülsen-Versatzstücken mit den Grünen des Jahres 1980 sehr wenig gemeinsam:

– Die frühen Grünen kamen aus allen politisch-weltanschaulichen Himmelsrichtungen zusammen. Trotz und wegen dieser explosiven Mischung wuchs die Partei als breiter (und manchmal auch unklarer bis trüber) Strom, der aus verschiedensten Teilen der Gesellschaft seine Anhänger gewann. Seit die Grünen sich programmatisch verengt haben auf dogmatisch verfochtene Idiotien wie die „multikulturelle Gesellschaft“ tröpfeln nicht allein die Neuzugänge, sondern es handelt sich bei diesen allzu oft entweder um karriereversessene Schlauköpfe oder um arme Tröpfe, die all das glauben, was auf Hochglanzpapier den Vorbetern nachgeplappert wird.

– Große, unbequeme Geister waren die Geburtshelfer der Grünen: Rudi Dutschke, Vorkämpfer eines freien Sozialismus in ganz Deutschland, Herbert Gruhl, der tiefste Analytiker der ökologischen Weltkrise, Josef Beuys, Künder eines neuen Kunst-Weltbildes, Rudolf Bahro, Symbolfigur einer marxistischen Infragestellung des Marxismus. Ihnen zur Seite traten mutige Einzelkämpfer wie die charismatische „Missionarin“ Petra Kelly, der von den Nazis und der SED gefolterte Journalist Heinz Brandt und Baldur Springmann, der Pionier eines konsequent naturbewussten Landbaus und Lebens. Von diesem Erbe zehrten und zehren die Fischer und Trittins, die Roths und Özdemirs, aber sie haben es vergeudet und aufgebraucht. Jenseits rhetorischer Tricks und effektheischender Demagogie haben diese Nachfolger nicht einen einzigen neuen und eigenen Gedanken von sich gegeben.

– Die Grünen der Anfangszeit mobilisierten in größtem Umfang die Einsatz- und Opferbereitschaft von Menschen, die keine Pfründen und Pensionsansprüche anstrebten, sondern eine andere Ordnung der Dinge wollten. Wo heute einerseits Apathie und andererseits das Gieren nach Zubrot und beruflicher Versorgung das öffentliche Bild der Parteimitgliedschaft prägen, waren damals die meisten Mitglieder der Grünen bereit, neben dem üblichen Hohn über „Utopisten und Wirrköpfe“ persönliche Nachteile und unbezahlte Arbeit  in Kauf zu nehmen.

– Die Ökologie war bei den Grünen am Anfang ihres Weges etwas grundlegend anderes als ein bisschen Umweltschutz, Müslikost und Energiesparen. Es war eine umfassende Philosophie, ein radikal anderer Ansatz, die Welt nicht von den materiellen Bedürfnissen des Menschen her, sondern von den Gesetzmäßigkeiten der Natur und vom Gedanken des Lebensschutzes her zu denken.

– Die Grünen waren anfangs bei allem Übergewicht kleinbürgerlich-mittelständischer Kräfte unter ihren Anhängern keine volksfeindliche und antisoziale Partei. Sie waren noch nicht der linke Flügel des globalistischen Neoliberalismus und noch nicht verschrödert und verhartzt.

– Bis 1984, bis sich die Kamarilla um den Stasi-Agenten Dirk Schneider (zeitweise Vertreter der Grünen im Innerdeutschen Ausschuss) durchsetzte, standen die Grünen glaubwürdig für eine Politik der Distanz zur amerikanischen wie zur russischen Supermachtpolitik: Ihre Politik zielte auf die Überwindung der Spaltung Europas und Deutschlands, wie dies 1980 explizit im inzwischen abgeschafften „Saarbrücker Programm“ formuliert war. In den folgenden Jahren prägten zunächst Kryptostalinisten wie Jürgen Reents (heute PDS) die Politik der Partei, assistiert von rabiat antideutschen Beton-Fundamentalisten wie Jutta von Dithfurth, bis diese Übergangserscheinungen Ende der achtziger Jahre denen Platz machten, die wie Joschka Fischer als linker Tiger starteten und als Madeleine Albrights Busenfreund und Bettvorleger endeten. Bei aller verbalen Distanz zu den Exzessen amerikanischer Globalpolitik wird auch in der Nach-Fischer-Ära den Herren von Wallstreet und Pentagon die Nibelungentreue gehalten.

Und da eine solche Politik erforderte, erstens Geld aus dem Volk herauszuholen für die Kriege der Führungsmacht, zweitens geschröpft werden musste, um als Satellit der USA aus der zweiten Reihe machtvoll zu glänzen, man drittens den heimischen Wirtschaftsführern zu Diensten sein wollte und man viertens ja selbst auch noch leben wollte, und das nicht allzu schlecht, kam am Ende jene rosarot-giftgrüne Regierungspolitik heraus, die  das einfache Volk auspresste. Die Begleitmusik lieferten die billigen Reden davon, das sei alles nur eine unvermeidliche Folge der Globalisierung und in Burkina Faso sei es auch nicht besser.

Der Blick zurück im Zorn führt zu einer Bilanz mit deutlichem Trend ins Negative. Nach Lage der Dinge ist an eine Reformation in den Grünen, eine Rückkehr zu den Ursprüngen nicht zu denken.

Rolf Stolz ist Publizist, belletristischer Schriftsteller und Fotograf und war 1980 Mitgründer der Grünen. Er sieht sich als „dissidentischen Linken zwischen den Fronten“.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren