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06.02.10 / Aufstand der Tagelöhner / Neue Welle rassistischer Gewalt in Süditalien – Berlusconi schweigt zur Lage der Migranten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-10 vom 06. Februar 2010

Aufstand der Tagelöhner
Neue Welle rassistischer Gewalt in Süditalien – Berlusconi schweigt zur Lage der Migranten

Illegale Zuwanderer aus Afrika begehren immer öfter gegen ihre miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen auf. Mafiöse Strukturen in der Landwirtschaft und die Scheu der Politik, sich der Probleme anzunehmen, machen diese auch zu einem europäischen, denn wer von den Landarbeitern kann, verlässt Süditalien.

Vorerst ist Ruhe eingekehrt im süditalienischen Städtchen Rosarno. Kaum noch etwas erinnert an die dramatischen Szenen, die sich hier vor einem Monat abspielten. Nachdem Unbekannte mit Luftgewehren auf von der Arbeit heimkehrende afrikanische Saisonarbeiter geschossen hatten, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Einwanderern und Teilen der Einheimischen. Autos brannten, Steine flogen gegen Schaufenster und während aufgebrachte Anwohner bewaffnet in Traktoren anrollten, verbarrikadierten sich mehrere Afrikaner im Rathaus. Die Polizei hatte Schwierigkeiten, die Situation unter Kontrolle zu halten. Die Behörden brachten einen Großteil der Einwanderer in Auffanglager der umliegenden Regionen. Viele waren zuvor auf eigene Faust gen Norden geflohen.

In der Gegend um Rosarno sind bis zu 5000 Immigranten – überwiegend illegal – in der Landwirtschaft beschäftigt. Zu Winterbeginn ernten sie in Kalabrien und auf Sizilien Orangen und Mandarinen. Im Sommer ziehen sie weiter nach Apulien zur Tomatenernte. Die zumeist aus Afrika oder Osteuropa stammenden Tagelöhner hausen in leerstehenden Fabriken oder alten  Lagerhallen ohne Strom und fließendes Wasser. Andrea Accardi von „Ärzte ohne Grenzen“ prangert die absolut nicht europäischen Standards entsprechenden Konditionen an: „Die Bedingungen, unter denen diese Menschen arbeiten und leben müssen, erreichen nicht einmal die Minimalstandards, die von den UN für Flüchtlingscamps in Notsituationen vorgegeben werden.“ „Mit 15 bis 20 Euro pro Tag haben wir diese Menschen zu modernen Sklaven gemacht – eine hässliche Seite im Geschichtsbuch Italiens“, bringt ein Lokalpolitiker die Ausbeutung der Erntehelfer auf den Punkt. Auch Papst Benedikt XVI. verurteilte die Gewalt in Kalabrien und fordert mehr Gleichberechtigung und Respekt für Migranten ungeachtet ihrer andersartigen Kultur und Tradition.

Ganz anders reagierten Medien und Politik. Tageszeitungen und Nachrichtensender sprachen von den „gewalttätigen Illegalen“ und den „mutigen Bürgern“, die sich gegen die „Neger“ verteidigt hätten. Die Gewerkschaften und die linksdemokratische Opposition äußerten sich in Ermangelung einer einheitlichen politischen Linie nur halbherzig zu den Vorfällen. Auch Ministerpräsident und Medienzar Silvio Berlusconi hüllte sich in Schweigen. Um sich vor den Rassismusvorwürfen der nationalen und internationalen Öffentlichkeit abzuschirmen, überließ er das Wort lieber seinem Koalitionspartner, der rechtspopulistischen Lega Nord. Innenminister Roberto Maroni machte prompt die jahrelange „falsche Toleranz“ gegenüber den Ausländern für die jüngsten Ausschreitungen verantwortlich. Die illegale Einwanderung habe die Kriminalität belebt und zu einer sozialen Verwahrlosung geführt. Mit massenhaften Ausweisungen, Bürgerwehren und verstärkten Kontrollen auf den süditalienischen Feldern will Maroni Herr der Lage werden. Dabei betonte er die gute Zusammenarbeit mit der Polizei und die bisherigen Erfolge der aktuellen Regierung, vor allem bei der Abschiebung von Bootsflüchtlingen. Außenminister Franco Frattini besucht derweil afrikanische Regierungsvertreter, um „das Problem an der Wurzel zu packen“ und potenzielle Billigarbeiter schon in ihren Herkunftsländern an der Ausreise zu hindern. Sein Parteikollege, Landwirtschaftsminister Luca Zaia, verwies auf die wirtschaftlichen Ursachen für die Ausbeutung. Die niedrigen Preise für Zitrusfrüchte aus Kalabrien zwingen die Landwirte, billig zu produzieren. Dumpingimporte aus Brasilien drücken zusätzlich auf die Orangensaftpreise. In Südtirol werden zwar auch Migranten als Apfelpflücker eingesetzt. Doch der Apfel werde als regionales Markenprodukt teuer verkauft und die Pflücker erhalten dort mehr Geld.

Die italienische Justiz untersucht zudem eine Verwicklung der Mafia in die Ereignisse. Rosarno gilt als eine der Hochburgen der kalabrischen ’Ndrangheta. Nachdem im Oktober 2008 Verbindungen des Bürgermeisters und weiterer Mitglieder der Stadtregierung zu der Organisation bekannt geworden waren, untersteht die Gemeinde einer kommissarischen Verwaltung aus Rom. Die ’Ndrangheta wollte mit den Attentaten wahrscheinlich Tagelöhner bestrafen, die kein Schutzgeld bezahlt hatten. Egal ob Orangen- oder Tomatenproduzenten, Winzer oder Olivenbauern: Die Mafia hat die Landwirtschaft des Mezzogiorno fest im Griff. Eine Studie des Bauernverbandes zur Schutzgelderpressung von Landwirten ergab, dass mindestens fünf Milliarden Euro jährlich in die Kassen der organisierten Kriminalität fließen. Wer nicht an die Clans zahlt, der muss mit der Vernichtung der Ernte oder dem Klau von Wasserpumpen rechnen. Die üppigen EU-Subventionen, die Orangenfarmen in Kalabrien seit Anfang dieses Jahres unabhängig von ihrer Produktionsmenge erhalten, dürften kaum Abhilfe schaffen. Der Bauernverband warnt davor, die Fördergelder regten den Appetit auf weiteren Missbrauch an. Sophia E. Gerber

Foto: Flucht im Schutze der Nacht: Illegale Einwanderer verlassen auf der Suche nach Arbeit Süditalien.    Bild: action press


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