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06.02.10 / Erbe auf dem Sperrmüll? / Eine Ausstellung zeigt, wie Nachlässe künstlerisch verarbeitet wurden – Ein Verein betreut Nachlässe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-10 vom 06. Februar 2010

Erbe auf dem Sperrmüll?
Eine Ausstellung zeigt, wie Nachlässe künstlerisch verarbeitet wurden – Ein Verein betreut Nachlässe

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich der Begriff Nachlass auf das Vermächtnis, die Hinterlassenschaft der Toten an die Lebenden. Wie man mit einem solchen Erbe umgehen kann, zeigen eine Ausstellung und ein Verein, der sich um Künstler-Nachlässe kümmert.

Einen Schuhkarton voll mit unsortierten Ansichtskarten hinterließen die Eltern Behrens ihrem Sohn Dirk. Jeanette Clasen erbte von ihrem Schwiegervater eine Schatulle mit hunderten von Briefmarken, auf denen das Konterfei der britischen Königin Elisabeth II. abgebildet war. Clasen wie auch Behrens sind Künstler, die sich an einem gemeinsamen Projekt des Bundes bildender Künstler Stade-Cuxhaven und Schloss Agathenburg beteiligt haben. Sechs Künstlerinnen und Künstler aus der Region haben sich mit dem Thema Nachlass beschäftigt und sich ihm auf unterschiedliche Weise genähert. Dirk Behrens hat aus ähnlichen Bildgruppen der Postkartensammlung jeweils ein Motiv ausgewählt und ein Bild gemalt – eine Berglandschaft mit Seilbahn, eine Landschaft am Wasser, eine Stadtansicht, eine südländische Straßenszene. Die geschick-te Installation mit vielen wie zufällig dahingeworfenen Karten, einem Klappstuhl, auf dem ein Sakko hängt, lässt den Eindruck entstehen, der Künstler habe gerade den Raum verlassen.

Diese Empfindung vermittelt auch die Installation, die Ute Breitenberger für die Ausstellung aufgebaut hat. Inspiriert von einem Besuch im Atelier einer gerade verstorbenen Künstlerin hat sie die Szene nachgestellt: Alles liegt noch an seinem Platz, die unvollendete Arbeit auf dem Zeichentisch, die Farben eingetrocknet.

Die vom Schwiegervater geerbten Briefmarken brachten Jeanette Clasen auf eine andere Idee, sich dem Thema Nachlass zu nähern. Sie gestaltete aus den kleinen, unterschiedlich farbigen Porträts der „Queen“ ein überdimensional großes, das den Titel „Porto Morgana“ trägt. Die Geschichte von Hermann Walter erzählt Ingeborg Dammann-Arndt. Der Hochseefischer hatte noch eine zweite Leidenschaft, er zeichnete und malte für sein Leben gern. Nach seinem Tod hinterließ er Ingeborg Dammann-Arndt mehrere Koffer mit Zeichnungen, von denen einige in Schloss Agathenburg zu sehen sind. Sie erzählen von Walters abenteuerlichem Leben auf See. So weit, so gut, oder doch nicht, denn die Lebensgeschichte hat die Künstlerin frei erfunden und auch die Bilder selbst gezeichnet.

Nicht erfunden sind hingegen die Geschichten um die Bilder und Fotos der anderen beiden Künstler. Susanne Stuwe-Thiel hat sich mit dem wechselnden Äußeren eines barocken Sessels beschäftigt, der aus dem Besitz von Schloss Agathenburg stammt. Einem Nachlass der Geschichte Deutschlands aus dem Zweiten Weltkrieg spürt Mike Behrens nach: Seine Fotografien zeigen Beton-Bunkerbauten an der Westküste von Dänemark und Norwegen.

Dass der Nachlass eines Künstlers nicht nur Freude bereitet, sondern auch Verantwortung bedeutet, hat manch einer vielleicht schon erfahren. Oft genug stehen Erben nicht nur vor einer Fülle von Kunstwerken, sondern auch vor einem ausgemachten Problem: Wohin mit den sperrigen Bildern, den gewichtigen Skulpturen, wohin gar mit dem schriftlichen Nachlass und anderen Archivalien? Verkaufen? Kommt nicht in Frage. Museen oder Galerien sind entweder nicht interessiert oder stellen die Werke in das Depot, sprich in den Keller. Bald ist die Zeit über sie hinweggegangen, dabei hat die kunstinteressierte Öffentlichkeit ein Recht, auch etwas über weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler und ihr Werk zu erfahren.

Das dachten sich auch Hamburger Wissenschaftler, Museumsleute, Nachlasserben und Sammler. Sie gründeten 2003 den gemeinnützigen Verein „Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern e. V.“ und schufen so eine bundesweit damals einmalige Institution, die bereits viel Interesse erfuhr.

Die Kunstwissenschaftlerin Gora Jain vom Vorstand des Forums hob in einem Gespräch mit der Preußischen Allgemeinen Zeitung die dringende Notwendigkeit hervor, sich um Nachlässe dieser Art zu kümmern. Die Entwicklung sei rasant. Zur Zeit betreue der Verein, der sich zunächst einmal um Künstler kümmert, die einen Bezug zu Hamburg haben, einige Nachlässe, darunter den der Künstlerfamilie Ahlers-Hestermann. Ab Mitte April werden im Künstlerhaus Sootbörn, wo der Verein ein würdiges Domizil gefunden hat, Werke des Malers und einstigen Berliner Akademiepräsidenten Friedrich Ahlers-Hestermann (1883–1973), seiner Frau, der Malerin Alexandra Povórina (1885–1963) und der gemeinsamen Tochter, der vor zehn Jahren vertorbenen Textilkünstlerin Tatjana Ahlers-Hestermann, ausgestellt. Auch der Nachlass der Fotografin Ingeborg Sello (1916–1982) wird im Forum verwahrt; eine Auswahl der Fotografien wurde bereits ausgestellt. Mit weiteren Erben ist man im Gespräch, denn schließlich müssen auch alle juristischen Einzelheiten geklärt werden, wenn die Nachlässe dem Verein als Eigentum übergeben werden sollen.

Doch nicht nur Erben melden sich bei dem Verein, auch Künstler selbst nehmen Kontakt auf. Sie erhalten dann Hinweise, wie sie ihr Werk strukturieren können, um die spätere Arbeit zu erleichtern. So dürfen Daten und Signaturen nicht fehlen.

Auch qualitätvolle Nachlässe weniger bekannter Künstler müssen sicher verwahrt, wissenschaftlich aufgearbeitet und dokumentiert sowie der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Kriterien für die Aufnahme seien Ausstellungen in Museen oder Galerien, die Nennung in Lexika oder auch eine akademische Ausbildung. In Zweifelsfällen entscheide ein künstlerischer Beirat über die Aufnahme. Engagierte Juristen, Fotografen und Restauratoren sind bei dieser Arbeit ebenso gefragt wie Kunsthistoriker. Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren die laufenden Kosten. Das Hamburger Projekt, an dem auch Studenten beteiligt sind, könnte Schule machen, damit für nachgelassene Kunstwerke die Endstation nicht Sperrmüll heißt.      Silke Osman

Nähere Informationen beim „Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern e. V.“, Künstlerhaus Sootbörn, Sootbörn 22, Hamburg: info@kuenstlernachlaesse.de, www.kuenstlernachlaesse.de.

Die Ausstellung in Schloss Agathenburg an der B 73 ist bis zum 28. Februar dienstags bis sonn-abends von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Foto: Dirk Behrens: Geerbte Postkarten inspirierten den Künstler. Bild: Osman


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