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06.02.10 / Identitäten statt Ideologien / Franzose erklärt, wie Emotionen das Weltgeschehen mitbestimmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-10 vom 06. Februar 2010

Identitäten statt Ideologien
Franzose erklärt, wie Emotionen das Weltgeschehen mitbestimmen

Der französische Autor Dominique Moisi vertritt in seinem aktuellen Buch „Kampf der Emotionen“ eine interessante These: „Wenn das 20. Jahrhundert sowohl ,das amerikanische Jahrhundert‘ als auch ,das Jahrhundert der Ideologien‘ war, dann spricht vieles dafür, dass das 21. Jahrhundert ,das asiatische Jahrhundert‘ und ,das Jahrhundert der Identität‘ werden wird. Die parallelen Verschiebungen von Ideologie zur Identität und von West nach Ost bedeuten, dass Emotionen die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, stärker beeinflussen als je zuvor.“ Anhand von Beispielen schildert Moisi, der stellvertretender Direktor des französischen Institutes für internationale Beziehungen ist, wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpolitik bestimmen. Oft genug ginge es in der Geopolitik nicht um Vernunft, objektive Gegebenheiten wie Grenzen, Ressourcen oder auch politisches Kalkül, ein Blick auf die Krisenherde der Welt zeige, dass auch stets Emotionen eine Rolle spielten.

Anhand eines alltäglichen Beispiels verdeutlicht er, wie sehr selbst der normale Mensch sein Freund-Feind-Schema aufbaut. Als sich in der Londoner U-Bahn ganz in seine Nähe eine völlig verschleierte Frau mit Rucksack hinsetzte, wurde nicht nur ihm mulmig. Offenbar befürchteten mehrere Menschen, sie würde alle gleich in die Luft sprengen. Die Spannung und Abwehrhaltung gegen diese verschleierte Person sei spürbar gewesen, so Moisi.

Überhaupt sei Angst eine Emotion, die derzeit den Westen charakterisiere. Hierbei seien aber Europa und die USA von verschiedenen Ängsten befallen. Detailliert geht der Autor auf die Unterschiede ein und erklärt, warum Asien für ihn der Kontinent der Hoffnung ist und die arabische Welt vorwiegend aus dem Gefühl der Demütigung heraus aus agiere. Informationen seien immer auch auf ihren emotionalen Hintergrund zu überprüfen. So habe der Zuschauer des Fernsehsenders Al-Dschasira einen ganz anderen Eindruck von den Auseinandersetzungen im Libanon 2006 erhalten als der Zuschauer von CBS. Obwohl beide über denselben Konflikt schilderten, wurden über ganz unterschiedliche Kriege berichtet. Und auch der israelisch-palästinensische Konflikt würde äußerst unterschiedliche Blickwinkel bieten. Nicht nur die verfeindeten Parteien seien von Emotionen geleitet, sondern auch die Vermittler USA und Europa. Koloniale Vergangenheit und Holocaust würden hier das Handeln der Länder Europas mitbestimmen.

Auch die Wahrnehmung der Welt sei sehr unterschiedlich. Während für Europa alles östlich eines gewissen Breitengrades Asien sei, würde China Japan nie als zu Asien zugehörig ansehen und auch Japan würde sich nicht dazuzählen wollen. Selbst Indien sehe sich nicht als asiatisch an.

Anhand zahlreicher Ausflüge in die Geschichte erklärt Moisi, warum sich die arabische Welt immer wieder vom Westen gedemütigt fühlte und fühlt und warum koloniale Schuldgefühle die in sich tief gespaltenen, verunsicherten Europäer in ihrem Handeln zusätzlich lähmen. Auch die abwehrende Haltung vieler Europäer gegen einen EU-Beitritt der Türkei erklärt der Autor vor allem mit einem Wust von Gefühlen, die die sachliche Diskussion über- deckten. Wirtschaftlich gebe es genügend Gründe, die eher für einen Beitritt der Türkei sprechen als den der 2007 Mitglied gewordenen Länder Rumänien und Bulgarien.

„Kampf der Emotionen“ bietet viele interessante Aha-Momente. Zahlreiche Erkenntnisse des Autors helfen, das jeweilige Verhalten der verschiedenen Akteure auf der Weltbühne besser zu verstehen.             Rebecca Bellano

Dominique Moisi: „Kampf der Emotionen – Wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpolitik bestimmen“, DVA, München 2009, gebunden, 230 Seiten, 19,95 Euro


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