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13.02.10 / Einigung auf Kosten Dritter / Altersteilzeit: Wie eine gute Idee zum Wohlfühlgeschenk verkommt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-10 vom 13. Februar 2010

Einigung auf Kosten Dritter
Altersteilzeit: Wie eine gute Idee zum Wohlfühlgeschenk verkommt

In mehreren Städten Deutschlands streiken Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes. Die Tarifverhandlungen stocken, denn die klammen Kommunen können kaum Lohnerhöhungen finanzieren. Verzweifelt prüfen die Kämmerer, was sie den Gewerkschaften anbieten könnten. Eine Möglichkeit wäre die Verlängerung der Altersteilzeit, denn die geht auf Kosten anderer.

„Wir können das ganze Paket aufschnüren, wenn die Arbeitgeber uns bei der Altersteilzeit sowie der Entgeltordnung endlich Verhandelbares auf den Tisch legen“, gibt sich der Deutsche Beamtenbund verhandlungsbereit. Auch die Gewerkschaft Verdi hat deutlich gemacht, dass sie von ihrer Fünf-Prozent-Forderung ablassen würde, wenn beispielsweise die Altersteilzeit neu geregelt würde.

Arbeitministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist allerdings nicht gewillt, die zum 31. Dezember 2009 ausgelaufene Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit zu verlängern. „Demographischer Wandel und absehbarer Fachkräftemangel gebieten es vielmehr, die Erwerbsbeteiligung Älterer zu erhöhen und generell Arbeitgeber wie Arbeitnehmer zu mehr Bildungs- und Weiterbildungsanstrengungen zu ermutigen“, so eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf Anfrage der PAZ und verweist auf den Koalitionsvertrag. Das ansonsten wenig konkrete Vertragswerk sagt zum Thema Altersteilzeit: „Staatliche Anreize zur faktischen Frühverrentung werden wir beseitigen.“

Allerdings stellt die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit, die diese 2009 291 Millionen Euro gekostet hat, nur einen Teil der Förderung von Altersteilzeit dar. Hinzu kommt die Förderung mittels Steuer- und Abgabenfreiheit des Aufstockungsbeitrags. Diese Möglichkeit zur Altersteilzeit besteht weiterhin, wenn sie in den Tarifverträgen vereinbart ist. Und diese sehen für 50-Prozent-Teilzeitarbeit Aufstockungen je nach Branche auf 70 bis 82 Prozent des jeweiligen Gehaltes vor. Wie viel allein dieser  Verzicht auf Steuern und Sozialbeiträge für die rund 420000 Arbeitnehmer in Altersteilzeit kostet, ist keiner öffentlichen Broschüre zu entnehmen.

Die Grundidee hinter der Altersteilzeit ist, dass ältere Arbeitnehmer, die Jahrzehnte im Berufsalltag standen, einige Jahre vor Renteneintritt ihre Arbeitszeit reduzieren und so sanft in den Ruhestand gleiten. Auch sah die Theorie vor, dass so schneller Arbeitsplätze für jüngere Arbeitnehmer und Arbeitslose frei werden. Doch in der Praxis ist die Altersteilzeit vor allem eine Chance für Arbeitnehmer, früher in Rente zu gehen. So nutzen 90 Prozent das „Blockmodell“. Dieses sieht vor, dass beispielsweise ab dem 55. Geburtstag drei Jahre weiter Vollzeit zu beispielsweise 75 Prozent des Gehaltes gearbeitet wird und danach drei Jahre zu 75 Prozent des Gehaltes ganz daheim geblieben wird. Ab dem 62. Lebensjahr gibt es dann die reguläre Rente mit den gesetzlich geregelten Abschlägen.

Auch für Arbeitgeber ist Altersteilzeit attraktiv, denn sie können so älteres Personal mit längeren Kündigungsfristen abbauen und jüngeres Personal, das inzwischen häufig zu weit schlechteren Bedingungen, aber dennoch motivierter und mit aktuellem Ausbildungsstand arbeitet, behalten. Das wiederum ist auch ein Vorteil für die Jüngeren, die zwar als Teil der Gesamtgesellschaft die höheren Kosten der ökonomisch ineffizieten Altersteilzeit mittragen, im jeweiligen Einzelfall aber den Arbeitsplatz behalten.

Da Gewerkschaften aufgrund ihrer Altersstruktur aber tendenziell eher ältere Arbeitnehmer vertreten, ist es verständlich, dass sie nicht auf die gesamtgesellschaftlichen Interessen, sondern auf die individuellen Belange ihrer Mitglieder achten. Und auch die Kämmerer der Kommunen werden vor allem darauf achten, wie sie ihren eigenen Haushalt nicht noch weiter überbelasten. Auch ist die Verlängerung der Altersteilzeit für die Kommunen durchaus attraktiv, da auch sie so äußerst unauffällig teures Personal abbauen können.         Rebecca Bellano

Foto: Auf der Suche nach Ersatz: Da die Kommunen sich keine Lohnerhöhungen leisten können, suchen sie Alternativen.   Bild: ddp

 

Zeitzeugen

Norbert Blüm – Seine Versicherung, dass die Rente sicher sei, hatte schon, als er von 1982 bis 1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung war, einen bitteren Beigeschmack: Sicher ja, aber in welcher Höhe? Bereits damals zeichnete sich die massive Überalterung der Gesellschaft ab.

 

Kurt Biedenkopf – „Die langfristig einzige Lösung ist eine aus Steuern finanzierte Grundsicherung, die für alle Bürger gleich ist“, so der ehemalige sächsische Ministerpräsident zur Rente der Zukunft. Der CDU-Politiker plädiert seit drei Jahrzehnten für ein Umdenken bei der Rente. „Jeder Einwohner, der in Deutschland 25 Jahre Steuern bezahlt hat, bekommt sie bei Erreichen der Altersgrenze. Sie beträgt rund 50 Prozent des Pro-Kopf-Volkseinkommens, derzeit rund 850 Euro brutto.“

 

Frank Bsirske – „Wir brauchen eine Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt“, so der Verdi-Vorsitzende, der sich ausdrücklich für eine Verlängerung der Altersteilzeit ausspricht. Bsirske wirft den Arbeitgebern „glatte Ignoranz“ realen Arbeitsbedingungen vor. Nur wenige Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Müllwerker könnten bis zum Rentenalter ihrer Arbeit nachgehen.

 

Hans Werner Sinn – Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München wies bereits 2003 darauf hin, dass sich bis zum Jahr 2035, dem Höhepunkt der demographischen Krise unseres Volkes, die Zahl der Alten relativ zur Zahl der Jungen verdoppeln werde. Der Ökonom spricht sich seit langem für deutlich weniger Rente für Kinderlose aus. Er ist überzeugt, dass ein „sehr großer Teil der Renten“ in 30 Jahren nicht mehr über dem Sozialhilfeniveau liegen werde.

 

Olaf Scholz – Stolz verkündete der damalige Arbeitminister 2008, im Interesse der Rentner den Riester-Faktor, der eine anstehende Rentenerhöhung um 0,6 Prozentpunkte reduziert, ausgesetzt zu haben. Dieser war 2001 von der rot-grünen Regierung für mehr Generationsgerechtigkeit eingeführt worden. 2009 wollte der SPD-Politiker noch kurz vor der Bundestagswahl die Förderung der Altersteilzeit um fünf Jahre verlängern, doch das gelang ihm nicht mehr.


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