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13.02.10 / Noch Glut unter der kalten Asche?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-10 vom 13. Februar 2010

Gastkommentar
Noch Glut unter der kalten Asche?
von Jürgen Liminski

Es war der Diplomat, Schriftsteller und Politiker Francois Rene Chateaubriand, der vor knapp 200 Jahren, 1818, eine Zeitschrift mit dem Titel „Le Conservateur“ gründete und darin auf der ersten Seite beschrieb, worin denn das Konservative bestehe. Es bestehe nicht, so Chateaubriand, im Festklammern an einen Status quo, sondern „en conservant les saines doctrines“ – im Bewahren der gesunden Lehren, im Hochschätzen dessen, was immer gilt, in den Werten von immer. Was aber, wenn eine Partei sich nicht mehr zu diesen Werten bekennt, weil diese sich angeblich gewandelt hätten? Was, wenn die Parteispitze diese Werte nur noch auf Lippen und nicht mehr in Taten zum Ausdruck bringt? Was passiert mit den Wählern, die im Vertrauen auf das Fundament dieser Werte diese Partei gewählt haben? Ganz einfach: Sie wählen nicht mehr, jedenfalls nicht mehr diese Partei. Denn wenn nur noch klar ist, wohin eine Partei inhaltlich wandert (nach links) und nicht mehr, wofür sie steht, dann trifft die Analyse der „Neuen Zürcher Zeitung“ über die CDU ins Schwarze: „Programmatische Beliebigkeit erleichtert zweifellos den Zugang – aber eben auch den Absprung“.

Die Kanzlerin und ihre Führungscrew müssen sagen, was sie unter konservativ verstehen. In der Großen Koalition konnte Merkel präsidieren und moderieren, sie konnte Entscheidungsschwäche als Stärke auslegen (lassen). In einer bürgerlichen Koalition, die wegen bestimmter Inhalte und Erwartungen gewählt wurde, geht das nicht mehr. Diese Inhalte werden nun zur Schicksalsfrage der Union. Die Partei kann nicht mehr nur Sozialklempnerei betreiben, wenn ein  Gesellschaftskonzept gefragt ist. Sie kann nicht mehr Steuerpolitik nach dem Gießkannenprinzip ausüben, wenn die soziale Mitte schmilzt und die Menschen nach sozialer Gerechtigkeit fragen. Auch in der Außenpolitik sind Konzepte gefragt, in Europa und der Türkei-Frage ebenso wie am Hindukusch und anderen Brennpunkten der Welt.

Das Christliche hatte der Partei eine Politik aus einem Guss gegeben, weil es ein Koordinatensystem bietet, in dem der Mensch über Detailfragen hinaus seinen Platz in der Welt finden konnte. Dazu braucht es keine tausend Programme. Die zehn Gebote wären Richtschnur genug, etwa der Satz „Du sollst nicht töten“ (Abtreibung) oder das vierte Gebot (Generationenvertrag und Generationengerechtigkeit). Natürlich ist der Konservative auch weltoffen. Aber wenn Moscheen mit allen Begleiterscheinungen (Muezzin-Rufe) das Lebensbild zu bestimmen drohen und ein CDU-Ministerpräsident, in diesem Fall Carstensen, sich darüber freut, ja, wenn die Muslime in Rendsburg sich darüber beschweren, dass der Muezzin-Ruf nicht mindestens so laut sein dürfe wie christliches Glockenläuten, dann ist die Grenze des Erträglichen auch für Konservative erreicht.

Überhaupt das Christliche: Es nützt nicht viel, dass der neue Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans Gert Pöttering, auf das große Verdienst der Gründerväter der CDU hinweist, die konfessionellen Trennungen und Grenzen überwunden und so erst eine Volkspartei im bikonfessionellen Deutschland geschaffen zu haben. Denn es geht beim Konservativen nicht um Kirchenbindung, es geht um Freiheit, um das personale Menschenbild und die damit verbundene Natur des Menschen. Wer sich dazu bekennt, der bekennt eine Schöpfungsordnung, zu der auch Ehe und Familie und auch angeblich verstaubte Begriffe wie Vaterland, Ehre und Wahrheit gehören. Und der Bekennende bindet sich an diese Ordnung aus freien Stücken, weil er glaubt, dass sie gut und richtig ist. Daraus ergeben sich dann Entscheidungen, etwa im Bereich des Lebensschutzes. Denn das Bekenntnis enthält ein Konzept von Freiheit, das sich unterscheidet von dem Konzept der Autonomie der 68er.

Freiheit zu ist das Lebensprinzip der Konservativen und nicht Freiheit von. Freiheit als „tätige Kraft“ (vis operans nannte es Thomas von Aquin), als Entscheidungskraft und nicht als Option, die ständig offengehalten wird. Nicht die Werte haben sich gewandelt, sondern das Bekenntnis zu ihnen. Im freien Bekenntnis zu den „Werten von immer“ (Chateaubriand) trotz wandelnder Umstände liegt die Kraft eines zukunftsfähigen Konservatismus. Ohne diese Kraft wird es schwierig, den Staat zusammenzuhalten. Denn mit der Freiheit und dem politischen Bekenntnis zu Werten schwinden auch die Bindungskräfte. Ohne die Konservativen ist kein Staat zu machen.

Nur: Gibt es das bürgerliche Lager noch? Man kann sich sogar fragen, ob es das jemals wirklich gegeben hat, oder sich mit dem Historiker Theodor Mommsen klagend über das Versagen des deutschen Bürgertums auslassen. Tatsache ist, dass die Leistungselite, die in den vergangenen Jahrhunderten den Geburtseliten konkurrierend entgegentrat, so etwas wie den Mittelstand zwischen der bäuerlichen Bevölkerung auf der einen und dem Adel auf der anderen Seite begründete. Sie schuf soziologisch die Mittelschicht und mit ihr die bürgerliche Gesellschaft. Man könnte allenfalls noch das „die Stände übergreifende Prinzip individueller Leistung und Qualifikation“ bemühen, wie Lothar Gall das „Bürgertum in Deutschland“ bezeichnet, um zum Lagerdenken zu kommen. Aber auch das wäre für die Union gefährlich. Denn wo honoriert die CDU noch individuelle Leistung? Wo steht sie überhaupt noch für Prinzipien? In der FDP sammeln sich mittlerweile sehr viel mehr bürgerliche Elemente im Sinne einer Gesellschaft der Freien und Leistungsträger.

Lagerparolen ersetzen kein Programm. Es geht nicht ohne programmatische Kernelemente. Der Wähler will und muss sich entscheiden können. Er braucht Identifikationsflächen. Die entstehen durch Werte, genauer: Orientierungswerte des Lebens wie Heimat, Glaube, Familie. Das bietet die Unionsspitze nicht mehr. In der CDU dominiert heute das Wirtschafts- und Arbeitsmarktdenken. Man mag mit Mommsen der Meinung sein, es sei „nicht möglich“, ein wirklicher Bürger zu sein „in unserer Nation, bei der der einzelne, auch der Beste, über den Dienst im Gliede und den politischen Fetischismus nicht hinauskommt“. Es mag auch sein, dass das obrigkeitsstaatliche Denken in Deutschland, das vom Kaiser auf die Parteien übergegangen ist, den (noch) großen Parteien an die fünfzig Prozent der Wähler sichert. Aber das sind nur Prozentpunkte und die Nichtwählerzahl wächst.

Es ist wohl noch etwas Glut unter der kalten Asche des Lagerfeuers bei den sogenannten Bürgerlichen. Aber die Union wird nur dann an der Macht bleiben können, wenn sie mit der CSU an die 40 Prozent heranreicht. Dafür muss sie, statt links zu wildern, ihre verlorenen Wähler wieder sammeln. Die CSU könnte diese Wähler erreichen, denn sie hat noch programmatische Substanz – aber sie müsste bundesweit antreten. Sie stand schon einmal vor dieser Frage. 1977 aber verhinderten die Barone in der Partei diese Strategie von Strauß mit dem Argument: Dann verlieren wir die absolute Mehrheit in Bayern. Die ist jetzt sowieso perdu. Eine bundesweite CSU würde die Vertriebenen „heimholen“, auch die Wertkonservativen. Vielleicht bricht die Diskussion wieder auf, wenn Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen verliert. Ob jetzt oder später – die inhaltliche Debatte lässt sich nicht mehr wegwischen.

Jürgen Liminski (* 1950) ist Journalist und Buchautor. Der Katholik und Vater von zehn Kindern arbeitet unter anderem für den Deutschlandfunk.


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