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20.02.10 / Künstler vermitteln Abenteuer der Wirklichkeit / Die Kunsthalle Emden widmet Werken des Realismus eine große Überblicksschau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-10 vom 20. Februar 2010

Künstler vermitteln Abenteuer der Wirklichkeit
Die Kunsthalle Emden widmet Werken des Realismus eine große Überblicksschau

Dem als „Realismus“ etikettierten künstlerischen Blick auf die Wirklichkeit ist erstmals eine große Schau gewidmet. In der Kunsthalle Emden warten 100 Künstler mit 170 Werken vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart auf. Kunsthallendirektor Nils Ohlsen erklärt: „Die Ausstellung zeigt Objektivität als Paradox; die realistische Kunst bewegt sich zwischen der Hoffnung, Wirklichkeit zu verstehen, und dem Zweifel, sie einfangen zu können.“

Die Wahrnehmungs- und Hirnforschung hat erwiesen, dass die Wirklichkeit für den Menschen nicht objektiv erkennbar ist. Die sich ihr widmenden Künstler vermitteln uns also nichts anderes als ihre Sicht der Welt. Gustave Courbet hat das in seinem 1855 verfassten Manifest des Realismus so ausgedrückt: „Imstande zu sein, die Sitten, die Vorstellungen, das Gesicht meiner Epoche nach meinem Dafürhalten zu übertragen, nicht nur ein Maler, sondern auch ein Mensch zu sein – mit einem Wort, lebendige Kunst zu machen, das ist mein Ziel.“

Der Franzose, der auf der Pariser Weltausstellung 1855 den Stilbegriff „Realismus“ prägte, ist mit dem Gemälde „Wellen mit drei Segelbooten“ (um 1870) vertreten. Die dunklen Wogen rollen direkt auf den Betrachter zu. Unter schwer lastenden, düster dräuenden Wolken sind in der Ferne drei verschwindend kleine Segelboote auszumachen.

Ins farbenfroh Phantastische entrückt Heiner Altmeppen die Welt. Seine „Norddeutsche Landschaft“ (1980/81) zeigt Wattebäuschen ähnelnde Wolken am strahlend blauen Himmel. Eine weite, flache Graslandschaft mit vielen gelben Blüten erstreckt sich bis zum Horizont, an dem Wohn- und Industriebauten aufsteigen. In dieser eindrucksvoll detailverliebten malerischen Fleißarbeit ist der Mensch nur indirekt gegenwärtig: als Schöpfer dieser Kulturlandschaft. – Die Schau wartet mit weiteren packenden Landschaftsbildern auf bis hin zu Andreas Gurskys am Computer bearbeitetem Großfoto „Dubai World III“ (2008). Adolph von Menzel stellt dem Ausstellungsbesucher „Moltkes Fernglas“ (1871) vor. Akribisch nähert er sich mit Bleistift und Deckfarben seinem Motiv. Das Lederetui ist aus drei verschiedenen Blickwinkeln dargestellt, das Fernglas aus zwei Perspektiven.

Die Hauptrolle in dieser Ausstellung aber spielt der facettenreiche Blick auf den Menschen. Repräsentativ und würdevoll fällt er in Anton von Werners Gedächtnisbild „Kaiser Friedrich als Kronprinz auf dem Hofball 1878“ (1895) aus. Zu der Festgesellschaft gehören der liberale Politiker und Berliner Oberbürgermeister Max von For-ckenberg, Rudolf Virchow, Pathologe und Mitbegründer der Fortschrittspartei, der einst in Königsberg lehrende Physiker Hermann Helmholtz sowie die Maler Ludwig Knaus und Adolph von Menzel. Ein Sinnbild der Einsamkeit ist hingegen Edward Hoppers Gemälde „Hotel Lobby“ (1943). Es zeigt drei Menschen, die sich gemeinsam in einem Raum befinden – und doch allein sind. Andere Menschenbilder wirken richtig erschütternd. Zur Anteilnahme fordert einen das von Fernand Pélez gemalte Armutsbild „Alter Mann, sich auf Stöcken abstützend“ (1892–1908) auf. Aber auch die vergnügliche Augentäuschung ist ein Paradefeld des Realismus. Attraktivstes Beispiel ist John de Andreas Bronzeskulptur „Amber liegend“ (2006). Dank Bemalung wirkt die nackte junge Dame verblüffend lebensecht.            Veit-Mario Thiede

Die Ausstellung „Realismus – Das Abenteuer der Wirklichkeit“ ist bis 24. Mai in der Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13, zu sehen. Geöffnet dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, am Wochenende von 11 bis 18 Uhr. Anschließend in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München. Katalog (Hirmer Verlag) in der Ausstellung 25 Euro.

Foto: Anton von Werner: Kaiser Friedrich als Kronprinz auf dem Hofball 1878 (Öl, 1895). Der „99-Tage-Kaiser“ war bei der Entstehung der Bildes bereits sieben Jahre tot. Bild: Internet


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