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27.02.10 / Russki-Deutsch (56): Bergatschow

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Russki-Deutsch (56):
Bergatschow
von Wolf Oschlies

Wolfgang Berghofer – geboren 1943, SED-Mitglied seit 1964, seit den 1970er Jahren als „IM Falke“ bei der Stasi aktenkundig, 1986 bis 1990 Oberbürgermeister von Dresden – war in seinem Elbflorenz so beliebt, dass man ihn mit Kenndey verglich oder ihn zum „Bergatschow“ umtaufte. Bergatschow klang wie Gorbatschow und war auch so gemeint, als Kompliment für einen, der nötige Reformen mutig anging.

Einer meiner Lieblingswitze aus der DDR: Was heißt ZDF ARD? Zentrales Deutsches Fernsehen außer Raum Dresden. In Dresden und Umgebung konnte man kein Westfernsehen empfangen, lebte also im „Tal der toten Augen“. Und ähnliche Witze mehr, die den Dresdnern und allen Sachsen ein gewisses Hinterwäldlertum attestierten. Die hüteten sich, dieses Image aufzubessern, denn es verschaffte ihnen gute Kontakte nach Westen, zum Beispiel Städtepartnerschaften mit Hamburg und Rotterdam, und verschonte sie vor übermäßiger Aufmerksamkeit der Ost-Berliner SED-Bonzen.

Und Bergatschow war immer an der Spitze. Im Fernsehen mäkelte er laut, warum sich eigentlich niemand für den Verfall Dresdens verantwortlich fühle, und das städtische Devisenkonto besserte er damit auf, dass er Dresdener Friseurabfälle an westdeutsche Perückenhersteller verhökerte. Solche Eskapaden machten den Oberbürgermeister populär, der selber am besten wusste, wie wenig sie bedeuteten. Dresden erstickte am Dreck und zerfiel in seiner Baussubstanz. Als im Winter 1988 keine Briketts für Schulen, Theater und Ämter vorhanden waren, ließ „Bergatschow“ die Winterferien vorziehen. Er machte sich längst keine „sozialistischen“ Illusionen mehr, wagte vielmehr im Oktober 1989 die Zusammenarbeit mit Gegnern des SED-Regimes, was offiziell Hochverrat war.

1992 wurde Berghofer wegen Teinahme an Wahlfälschungen zu einem Jahr Haft (auf Bewährung) und 36000 D-Mark Geldstrafe verurteilt. Unsinnige Anklage und Strafe: Wann hat es jemals in der DDR eine „Wahl“ gegeben, die jemand „fälschen“ konnte? Berghofer hat es nichts geschadet, er lebt ohne Politik und im besten Ansehen seiner Stadt.


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