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27.02.10 / Gastbeitrag / Zwischen Anpassungsdruck und Selbstpolonisierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Gastbeitrag
Zwischen Anpassungsdruck und Selbstpolonisierung
von Enno Eimers

Ein Journalist in Westpolen prägte den Begriff „Selbstpolonisierung“ für die Tendenz einzelner Deutscher in Polen, auch nach dem Zurücktreten der staatlichen Unterdrückung die Pflege der eigenen Kultur in den Hintergrund treten zu lassen zugunsten einer Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft. Im Alltag stellt sich den Deutschen in Polen von Zeit zu Zeit die Frage, ob sie dem immer noch lebendigen gesellschaftlichen Druck der Mehrheit nachgeben oder ihre eigene Identität leben sollen.

Vor einiger Zeit lieferte eine Hochzeit in Oberschlesien ein typisches Beispiel für das Problem. Die Brautleute waren beide deutsche Akademiker, die Brautmutter eine bekannte deutsche Schriftstellerin aus Oberschlesien, und der die beiden trauende Priester war der für die Deutschen in Oberschlesien zuständige Pfarrer Globisch. Dennoch fiel bei der kirchlichen Trauung kein deutsches Wort, weder bei der Predigt noch beim Gesang. Der übliche Assimilationsdruck war kurz vor der Hochzeit zum Ausdruck gekommen, indem die Braut einen Anruf erhielt mit der Andeutung, dass bei einer deutschsprachigen Trauung ihre Stelle an der Universität nicht mehr gesichert sei. So verzichteten das Brautpaar, dessen beide Familien und der sonst so standhafte Globisch auf das offene Bekenntnis zu ihrer deutschen Identität.

Die alteingesessene deutsche Bevölkerung in Oberschlesien durfte ihre deutsche und schlesische Sprache ab 1989 nach 44 Jahren Unterdrückung offiziell wieder verwenden. Tausende nutzen sie seitdem täglich privat und beruflich und bemühen sich um die Verbesserung ihrer Sprachkompetenz in Sprachkursen. Es gibt insbesondere im Oppelner Oberschlesien eine Vielzahl von Kindergärten, Grundschulen, Gymnasien und Lyzeen (sie entsprechen in der Bundesrepublik unseren gymnasialen Oberstufen), in denen Deutsch unterrichtet wird. Aber zugleich gibt es die gegenläufige Tendenz bei denen, die doch 1990 so froh waren, nun ihre Muttersprache nutzen zu dürfen. Nach über 40 Jahren erwies sich der aufrechte Gang schwieriger als zunächst erwartet.

Heute ist die Lage der deutschen Sprache in Oberschlesien allerdings nicht so desolat wie in Ostpreußen. Wilhelm v. Gottberg, der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, berichtete am 7. November 2009 vor der ostpreußischen Landesvertretung nach seinem Besuch von deutschen Vereinen in Ostpreußen, dass selbst in diesen Vereinen überwiegend Polnisch gesprochen werde und es nur in Landsberg anders sei. Es ist im Grund bequemer, in der so lange mit so viel Druck eingetrichterten Weise zu reden. Bei den gemischten Ehen ist es in der Regel der deutsche Part, der sich der Sprache des Partners anpasst. Das gilt selbst für eine Reihe von Vertretern der deutschen Minderheit. Aber eine Sprache, die man nicht dauernd nutzt, verfällt.

Die kulturelle Selbstbestimmung der Deutschen durchzusetzen ist umso schwieriger, als sich auch die Polen in der Umgebung der Deutschen, die wieder den aufrechten Gang suchen, ändern müssten. In einem Feuerwehrverein beim Turawa-See in Oberschlesien ist bei den Versammlungen in der Regel nur ein Pole anwesend. Bisher verzichteten die deutschsprachigen Teilnehmer mit Rück-sicht auf den einen Polen darauf, ihre Muttersprache zu verwenden.

Dass es bei den heimatverbliebenen Deutschen nicht nur darum geht, die Muttersprache zu retten, sondern insgesamt um ihre deutsche Tradition, soll ein weiteres Beispiel verdeutlichen. Kürzlich fand die erste deutsche Wallfahrt aus Oberschlesien nach Rom statt. Dazu gehörte auch ein Besuch des Klosters Monte Cassino. Dabei wünschte der polnische Reiseleiter unbedingt den Besuch des Friedhofs der etwa 1000 polnischen Gefallenen, wie das sonst bei Pilgerfahrten aus Polen üblich sei. Die Deutschen, unter ihnen jemand aus dem Vorstand im Oppelner Schlesien, bestanden darauf, dass der deutsche Soldatenfriedhof mit seinen etwa 20000 Gefallenen besucht werde, obgleich der Bus so hielt, dass sie drei Kilometer durch die Dunkelheit stapfen mussten. Aber sie setzten durch, dass sie ihren Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife niederlegen konnten. Für den Besuch des polnischen und des amerikanischen Friedhofs bestand am Abend keine Zeit mehr.

Es gibt neben der Selbstpolonisierung auch immer wieder das Bekenntnis der Deutschen zu ihrer Herkunft. Dazu dienen in Westpolen besonders die kulturellen Aktivitäten in den Deutschen Freundschaftskreisen, deren Gründung sich nun zum 20. Mal jährt. Sie bildeten in vielen Orten Chöre, die das deutsche Liedgut pflegen. Dazu gehört jetzt auch gelegentlich das Singen der dritten Strophe des Deutschlandliedes, was bei der polnischen Mehrheitsgesellschaft nicht die geringste Aufregung verursacht hat. Liegt es daran, dass sie das alte polnische Gebet kennen „Herr, lass mich nicht lauwarm sein…“? Deutsche in Polen versichern mir, dass die Polen Personen mit klarem Standpunkt mehr achten als die „Lauwarmen“ vom Schlage Krolls. Aber wie viele gibt es noch von den Standhaften? Im Augenblick zählen die Deutschen Freundschaftskreise des Oppelner Oberschlesien 45000 zahlende Mitglieder; das heißt von den dort lebenden etwa 300000 Deutschen unterstützt nur noch ein Bruchteil die Tätigkeit der deutschen Institutionen, auch wenn weit mehr ihre Angebote nutzen.

An die Spitze des „Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen“ (VdG) sind nun mit Oberschlesiern wie Robert Gaida und Norbert Rasch Persönlichkeiten gerückt, die sich gegen die Selbstpolonisierung der Deutschen stemmen. In diesem Vorstand des VdG ist endlich Deutsch Verhandlungssprache.

Die Nagelprobe für die Deutschen in Polen wird die polnische Volkszählung 2011 sein, bei der wieder nach der nationalen Zugehörigkeit gefragt wird. Bei der letzten Volkszählung 2002 gelang es, die größte Gruppe der Deutschen, nämlich die in Schlesien, zu spalten. Eine breit angelegte Kampagne veranlasste die Deutschen, sich entweder als Deutsche oder als Schlesier zu erklären, auch wenn es keine schlesische Nation gibt. Werden es die deutschen Vertreter in Polen im nächsten Jahr durchsetzen, dass nicht wieder mit diesem Trick gearbeitet werden kann? Werden die Deutschen in den einzelnen Ortschaften Schlesiens so auf der Hut sein, dass nicht erneut die vielfachen Manipulationen vorkommen wie beim letzten Mal? Werden die in der Bundesrepublik arbeitenden Oberschlesier mit polnischem Pass ihren Landsleuten zu Hilfe kommen?

Bei der Selbstpolonisierung helfen leider auch Deutsche aus der Bundesrepublik. Zum neuesten Angriff auf das deutsche kulturelle Gedächtnis Ostmitteleuropas scheint sich das Deutsch-Polnische Schulbuch auszuwachsen, da es der obskuren Ausstellung zur deutsch-polnischen Geschichte von 2009 nahe kommt. Dass deutsche Bundesländer dieses Geschichtsbuch einführen, ist nicht so wahrscheinlich, wie dass es im Deutschunterricht in Polen und damit in Schlesien und in Masuren in die Schulen gedrückt wird. Aber beteiligt sind die Deutschen in Polen bisher nicht an der noch laufenden Arbeit. Es ist zu hoffen, dass die Deutschen in Polen gegen ein solches Danaer-Geschenk aus der Bundesrepublik entschieden Front machen und ihnen auch westlich der Oder und Neiße der Rücken gestärkt wird – trotz des Jungelefanten in unserem außenpolitischen Porzellanladen und trotz Politikern wie Wolfgang Thierse, Claudia Roth und Gesine Schwan mit ihrem von keiner Kenntnis der deutschen Kultur östlich von Oder und Neiße getrübten Sendungsbewusstsein.


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