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27.02.10 / Es gab auch ein rotes Ostpreußen / Entgegen allen Klischees gab es in der Provinz eine bunte Parteienlandschaft mit einer lebendigen Arbeiterbewegung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Es gab auch ein rotes Ostpreußen
Entgegen allen Klischees gab es in der Provinz eine bunte Parteienlandschaft mit einer lebendigen Arbeiterbewegung

In den Köpfen vieler Leute gilt das alte Ostpreußen als eine von reaktionären Gutsbesitzern regierte Provinz des einstigen Deutschen Reiches. Doch die Parteienlandschaft im historischen Ostdeutschland war weitaus bunter als vielfach angenommen.

„Wer in der SPD weiß heute schon, dass einige der profiliertesten Köpfe der Sozialdemokratischen Partei in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus Ostpreußen, insbesondere Königsberg kommen?“ Die Zeilen waren im November 2009 dem „Vorwärts“, der Parteizeitung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, zu entnehmen. Männer wie Otto Braun, Arthur Crispien, Hugo Haase, Gerhard Brandes und Alfred Gottschalk setzten sich weit über die ostpreußischen Grenzen hinaus für ihre sozialdemokratischen Ziele ein.

Der 1872 in Königsberg geborene Otto Braun war gar durchgehend von 1920 bis 1932 preußischer Ministerpräsident. Doch der als „roter Zar von Preußen“ Bekannte war keineswegs der einzige prominente ostpreußische Sozialdemokrat. Mehr als nur Parteigeschichte schrieb auch Hugo Haase, der von 1912 bis 1917 zeitweise neben Friedrich Ebert SPD-Vorsitzender war und zum tragischen Helden wurde, als er zu Beginn des Ersten Weltkrieges gegen seine Überzeugung im Reichstag das Ja seiner Partei zu den Kriegskrediten verkünden musste.

Als der gebürtige Allensteiner diese Politik 1917 nicht mehr mittragen wollte, gründete er mit Gleichgesinnten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) als Abspaltung der SPD.

Doch die Geschichte der Sozialdemokraten in Ostpreußen beginnt viel früher. Die Wurzeln der Arbeiterbewegung und somit auch der Sozialdemokratie reichen hier bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zurück, wie der 1903 in Königsberg geborene Wilhelm Matull 1970 in seinem Buch „Ostpreußens Arbeiterbewegung“ belegt. Schon in der auf mehr politische Mitbestimmung drängenden Versammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 saßen mit dem späteren sozialdemokratischen Arzt Johann Jacoby sowie dem nationalliberalen Juristen Eduard von Simson auch Söhne der Pregelmetropole.

Königsberg war das wirtschaftliche Zentrum des östlichen Preußens und zur Zeit der Reichsgründung 1871 eine der größten Städte Deutschlands. Und auch wenn die Industrie hinter dem Handel in der Hafenstadt stets eine weniger bedeutende Rolle spielte, so lebte in der Stadt doch eine wachsende Arbeiterschicht. Ob beim Schiffsbau, in der Holzverarbeitung oder beim Landmaschinenbau: Mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs auch in Ostpreußen die Zahl der Arbeiter, von denen immer mehr die ihnen zugemuteten Arbeitsbedingungen nicht mehr einfach hinnehmen wollten und sich organisierten.

Wie der Journalist Matull in seinen Ausführungen aufzeigt, waren einige Blätter der Stadt den Interessen der Arbeiter durchaus gewogen und berichteten dementsprechend. Auch gründeten die Sympathisanten immer wieder eigene Zeitungen. Allerdings mussten auch sie wie die Arbeiterbewegung als Ganze immer wieder Rückschläge wie Versammlungs- und Organisationsverbot oder sogar Verfolgung in Kauf nehmen. Und dies keineswegs nur während der zwölfjährigen Verbotszeit unter Bismarck.

„Viele Königsberger Arbeiter enthielten sich aus Furcht vor Entlassung der Beteiligung“, ist Matulls Dokumentation zu entnehmen. Dies verdeutlicht den Druck, den das Engagement der Arbeiter zu allererst von nicht-politischer Seite erhielt. Allerdings ist es auch falsch, von „der“ Arbeiterbewegung zu sprechen. Es gab zahlreiche Bewegungen, die von Vereinen, die Suppenküchen betrieben, über sozialdemokratische Gruppierungen bis hin zu radikal-sozialistischen Zirkeln reichten und teilweise auch untereinander verfeindet waren.

Verhängnisvoll wurde die antidemokratische Haltung der Kommunisten in den frühen 30er Jahren: „Der ,revolutionäre Elan‘ der Königsberger kommunistischen Bezirksleitung scheint sich darin zu erschöpfen, den demagogischen Einheitsfrontrummel durch Störung sozialdemokratischer Versammlungen unter Beweis zu stellen, dagegen nichts zu tun, um praktisch die Einheitsfront der Arbeitenden zu schaffen, und vor allen Dingen darin, sich zu hüten, dem faschistischen Gegner der gesamten Arbeiterschaft ernsthaft die Stirn zu bieten. Denn bisher haben sich die Kommunisten gehütet, faschistische Versammlungen zu stören.“ Diese Zeilen stammen aus den „Königsberger Neuigkeiten“, der Beilage der 1893 von Otto Braun und Hugo Haase als sozialdemokratische Zeitung für Ostpreußen gegründeten „Königsberger Volkszeitung“ vom 18. Februar 1933.

Nur wenige Tage später, nach dem Reichstagsbrand vom 28. Februar 1933, ließ Adolf Hitler mit der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ auch die „Königsberger Volkszeitung“, bei der auch Matull arbeitete, verbieten. Stück für Stück wurden die Freiheiten der Sozialdemokraten und der Arbeiterbewegung eingeschränkt. Es erfolgten Verhaftungen, am 1. Mai wurden die Gewerkschaftshäuser gestürmt und deren Finanzen der am 10. Mai gegründeten Deutschen Arbeitsfront (DAF), die 1934 der NSDAP angeschlossen wurde, übertragen. Politisch Missliebige und jüdische Mitarbeiter nicht nur der Gewerkschaften sondern auch der öffentlichen Einrichtungen wurden entlassen. Einige Zeit lang konnte die SPD über das unter Völkerbundmandat stehende Danzig den Kontakt mit ihrem dort angesiedelten Exilvorstand und ihren Widerstand aufrecht erhalten, doch mit dem Anschluss Danzigs 1939 war auch diese Möglichkeit genommen.

Aber Sozialdemokraten wie Gerhard Brandes und Alfred Metz gaben nicht auf. Bei als „Skatrunde“ getarnten Treffen versuchten sie so gut wie möglich, ihre Arbeit – Unterstützung der Familien Verhafteter und Kontakte mit den Genossen – aufrecht zu erhalten. Doch immer wieder drangen Nachrichten über Verhaftungen in die Runde, die einmal um ein Haar enttarnt worden wäre.

Einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sowie Flucht und Vertreibung aus der ostpreußischen Heimat trafen sich viele Teilnehmer der geheimen Skatrunde in Hamburg wieder. Brandes, der 1965 Finanzsenator in der Hansestadt wurde, aber auch andere, engagierten sich bis zu ihrem Tode für die SPD.                       Rebecca Bellano

Wer sich auf unterhaltsame Weise mit der Geschichte der Königsberger Arbeiterschaft beschäftigen möchte, dem ist das Buch „Königsberger Kreuzwege – Von glücklichen Tagen und schrecklichen Zeiten (1923-1945)“ von Helga Kutz-Bauer zu empfehlen. Hier wird auch die „Königsberger Skatrunde“ immer wieder erwähnt.

Foto: Der wohl bekannteste ostpreußische Sozialdemokrat war Preußens Ministerpräsident Otto Braun:Hier bei seiner Rede auf dem SPD-Parteitag in Magdeburg Ende Mai 1929 im Ehrenhof der Stadthalle          Bild: Ullstein


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