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27.02.10 / Warten auf Befreiung / Jüdin hofft vergeblich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-10 vom 27. Februar 2010

Warten auf Befreiung
Jüdin hofft vergeblich

Sándor Márai, einer der bedeutendsten ungarischen Lyriker, Schriftsteller und Dramatiker des 20. Jahrhunderts, begann Weihnachten 1944 mit seinem Roman „Befreiung“. Damals hatte die sowjetische Armee seine Heimatstadt Budapest besetzt und zwei Dutzend Rotarmisten waren in das Haus, in dem Márai und seine Frau Lola lebten, einquartiert worden. Als die Sowjets die Deutschen vertrieben hatten und große Teile der Armee wieder abzogen, war das Haus der Márais bis auf die Grundmauern abgebrannt. Márais über 6000 Bände zählende Bibliothek und all sein Hab und Gut waren dem Erdboden gleichgemacht worden. Dass ein Mann, der mit Leib und Seele Schriftsteller ist, dies durch Schreiben zu verarbeiten suchte, ist nicht verwunderlich. Und so verarbeitete er seine Erlebnisse in Form eines Romans, den er in sein Tagebuch schrieb und der erst nach seinem Selbstmord 1989 darin entdeckt wurde.

Er erzählt die Geschichte der jüdischen Studentin Erzsébet, die in der Dezemberkälte des Jahres 1944 in einem Luftschutzkeller in Budapest Schutz sucht. Inmitten vieler anderer, ihr völlig fremder Menschen, hofft sie auf die Befreiung durch die Rotarmisten der von Deutschen besetzten Stadt.

Ihren Vater, einen verfolgten ungarischen Schriftsteller, hat sie vorher – in einem Kellerversteck eingemauert – zurücklassen müssen. Sobald die Deutschen fort wären, hofft sie, ihn wieder zu sich holen zu können.

Wie in Trance harrt Erzsébet der Befreiung entgegen. Sie zweifelt nicht daran, dass sie kommen wird, nur sie weiß eben nicht genau wann.

Sachlich schildert Autor Sándor Márai, was Erzsébet in diesem Luftschutzkeller erlebt, was sie beobachtet und wahrnimmt. Mit stoischer Gelassenheit erlebt die Jüdin menschliche Not, Leid und Tod. Auch dass ihr Partner Tibor sie verlassen hat, scheint die junge Frau nicht sonderlich zu berühren, denn sie glaubt fest an seine Rückkehr und an die Befreiung – doch Befreiung wovon eigentlich genau?

„Die Belagerung und der Krieg sind nur Folgen. Aber was nicht mehr lange andauern kann, was bald zu Ende sein wird, was tatsächlich unerträglich ist und deshalb nicht ewig andauern kann, ist der Hass. Das Funkeln in den Augen der Menschen. Der Hass, mit dem sie einander ansehen, im dunklen Keller und auf der noch dunkleren Straße oder tagsüber über die mit braunem Packpapier abgedeckten Leichen hinweg. Dieser Blick, in dem ein dunkles Licht brennt. Alle haben diesen Blick in den Augen. Hass, Angst, Schuldbewusstsein, Erbarmungslosigkeit, wahnsinnige Wut, zähneknirschende Gier funkeln in diesem Blick. Das ist es, was nicht mehr lange verweilen darf … “

Die Ironie der Geschichte: Am Ende betritt ein junger Russe den Keller und Erzsébet begrüßt ihn überglücklich. Doch der Rotarmist „befreit“ sie gleich darauf genauso, wie seine Kameraden so viele deutsche Frauen „befreit“ haben.    A. Ney

Sándor Márai: „Befreiung“, Piper Verlag, München, 2010, gebunden, 194 Seiten, 16,95 Euro


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