28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.03.10 / Verschwörung oder Planspiel / Türkei: Erdogan lässt Offiziere verhaften − Putsch geplant?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Verschwörung oder Planspiel
Türkei: Erdogan lässt Offiziere verhaften − Putsch geplant?

Dass ein türkischer General vor einem zivilen Gericht landen könnte, hätte sich in der Türkei früher niemand vorstellen können. Aber schon seit 2008 läuft der „Ergenekon-Prozess“, in dem 86 hohe Polizei- und Armeeangehörige und einige zivile Persönlichkeiten für zahlreiche politische Morde verantwortlich gemacht werden. Und nun ließ die Regierung  eine Reihe aktiver und pensionierter Offiziere festnehmen, denen sie Putschpläne vorwirft. Der verhaftete General Engin Alan war sogar ein Nationalheld – wegen seiner Erfolge im Kampf gegen die Kurden. Einige der Festgenommenen wurden zwar wieder freigelassen, andere aber bereits unter Anklage gestellt.

Doch handelt es sich wirklich um eine Verschwörung, wie die Regierung behauptet, oder war es nur ein 2003 an der Kriegsakademie der Armee ausgearbeitetes Planspiel, wie die Armeeführung und die Beschuldigten sagen? Der seit Verbot der Scharia und Abschaffung des Kalifats durch Kemal Atatürk schwelende Machtkampf zwischen sekulären und islamistischen Kräften hat damit jedenfalls eine neue Phase erreicht.

Beide Seiten haben triftige und zum Teil persönliche Gründe, einander alles zuzutrauen. So hat die Armee bereits mehrmals massiv in die Politik eingegriffen, um linke und später islamistische Versuche der Machtergreifung zu vereiteln und die kemalistische Linie zu verteidigen – was nach mitteleuropäischen Maßstäben in die Kategorie „Militärputsch“ fiel, aber zu Zeiten des Kalten Krieges dem Nato-Partner „verziehen“ wurde.

Necmettin Erbakan, mehrmaliger Ministerpräsident und geistiger Ziehvater von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, wurde 1980 sogar inhaftiert, und auch Erdogan, dessen „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (AKP) 2001 aus Erbakans Partei hervorging, war 1997 kurzzeitig in Haft.

Die Kemalisten wiederum kennen den Werdegang Erdogans und wissen genau, was Europa nicht wahrhaben will: Während Erbakan mit frontalem Streben nach einem „Gottesstaat“ scheiterte, verfolgt Erdogan systematisch dasselbe Ziel, er redet aber nicht darüber.

Erleichtert wird es ihm dadurch, dass die EU-Bestrebungen ohnehin zu einer moderaten Rhetorik zwingen und dass in den letzten 20 Jahren ein wirtschaftsstarker islamisch orientierter Mittelstand entstanden ist, der die AKP finanzierte und der nun von dieser mit Regierungsaufträgen belohnt wird.

Dem Machtgeflecht der Kemalisten in Armee, Polizei, Justiz, Verwaltung und Wirtschaft, gern als „tiefer Staat“ bezeichnet, steht inzwischen ein zweiter „tiefer Staat“ entgegen, denn es scheint der AKP allmählich zu gelingen, die Institutionen zu unterwandern. Sogar einzelne Generale gelten als verkappte Islamisten, und in der Justiz tobt ein – vermutlich am Ende den Ausschlag gebender – Richtungskampf. In beiden Lagern stützt man sich allerdings auf Prinzipien und verfolgt Ziele, von denen zumindest einige mit den vielbemühten „europäischen Werten“ garantiert unvereinbar sind.           Richard G. Kerschhofer


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren