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06.03.10 / Land außer Kontrolle / Mexikos Präsident droht im Kampf gegen Drogenkartelle zu scheitern − Gewalt erreicht Mittelschicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Land außer Kontrolle
Mexikos Präsident droht im Kampf gegen Drogenkartelle zu scheitern − Gewalt erreicht Mittelschicht

„Es gibt in Mexiko keine Gefahr für eine Destabilisierung des Landes“, muss die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa Castellanos bei ihren Staatsbesuchen immer wieder versichern. Doch die Realität straft ihre Beteuerungen als Wunschdenken ab: Im mexikanischen Drogenkrieg sterben mehr Menschen als bei den Gefechten in Afghanistan und im Irak.

„Mexiko im Belagerungszustand“, so beschreibt die „Los Angeles Times“ die Situation in Kaliforniens Nachbarland. Und das ist nicht übertrieben. Es scheint, als würde Präsident Felipe Calderon den erbitterten Krieg gegen die mächtigen Drogenkartelle, den er bei seiner Amtsübernahme 2006 emphatisch verkündete, verlieren. Immer weiter dringen die Syndikate mit ihrem Überfluss an Geld, Waffen und Gefolgsleuten in alle Bereiche der 110 Millionen Einwohner zählenden Gesellschaft vor. Immer grausamer rächen sie sich an allen, die ihren Zielen im Wege stehen. Allein sieben Journalisten wurden im letzten Jahr umgebracht. Die pure Gewalt ist ausgebrochen, und immer häufiger werden Unschuldige zu Opfern.

Letzten Dezember besuchte Bobby Salcedo, Lehrer und Gemeinderat in El Monte bei Los Angeles, Freunde in seinem Heimatort Gomez Palacio in der mexikanischen Provinz Durango. Silvester saßen sie in fröhlicher Gesellschaft in einem Restaurant, als plötzlich Männer mit Skimasken und AK-47-Gewehren hereinstürmten und fünf männliche Gäste entführten. Darunter Bobby Salcedo. Seine Leiche wurde wenige Stunden später mit denen der anderen in einem Graben außerhalb der Stadt gefunden. Die vielen Schlagzeilen zu dieser Tragödie wiederum waren ein vernichtender Schlag für den mexikanischen Tourismus, von dem das Land großenteils lebt.

Anfang Januar, diesmal in der Grenzstadt Tijuana bei San Diego, entdeckte man den 17-jährigen Sproß einer Supermarkt-Dynastie erschossen in seinem Auto vor der elterlichen Villa. Zwei Tage später, ebenfalls in Tijuana, waren drei Schüler in ihrem Jeep Cherokee auf dem Heimweg von ihrer Abiturprüfung. Eine Salve von Schüssen aus einem überholenden Auto tötete alle drei. Über ein Dutzend Ermordete gab es, neben fünf Entführungen, in der ersten Januar-Woche allein in Tijuana. Doch nichts hat die ansonsten eher fatalistischen Mexikaner so aufgewühlt wie der Vorfall in Ciudad Juarez an der Grenze zu Texas. Dort feierten Schüler ein Klassenfest, als maskierte Drogen-Gangster auftauchten und 15 der Schüler umbrachten sowie zahlreiche schwer verletzten. Nach Protesten im ganzen Land, bei denen lautstark Calderons Rücktritt gefordert wurde, eilte der verschreckte Präsident nach Ciudad Juarez und versprach 50 Millionen Dollar für neue Jobs und Ausbildungs-Programme. Calderon spürt, dass die Luft für seine Nationale Aktions-Partei dünn wird. Ihm stehen Regionalwahlen bevor und aufgrund der ungelösten Gewaltproblematik sind die Umfragewerte in den Keller gesunken.

Immer öfter fordern aufgebrachte Bürger den Rückzug der 10000 Mann starken Truppe aus Armee und Polizei, die Calderon in seinem über dreijährigen Kampf gegen die Syndikate in das Zwei-Millionen-Städtchen schickte, das wegen der Nähe zum texanischen El Paso einen wichtigen Umschlagplatz für den Rauschgifthandel darstellt. Grund für diese Forderung: Das Militär sorgt nicht für Sicherheit, sondern für noch mehr Korruption und Gewalt. Menschenrechte werden von den Einheiten fast überhaupt nicht eingehalten. Und trotzdem geschah im letzten Jahr rund alle drei Stunden ein Verbrechen. Eine halbe Million Einwohner flüchtete bereits.

Ciudad Juarez ist ein Musterbeispiel dafür, wieso die Syndikate so erfolgreich agieren können. Armut und gesellschaftliche Unterschiede sind der Nährboden. In Massen strömen junge Menschen aus verarmten landwirtschaftlichen Gebieten, wo sie kein Geld, keine Ausbildung, keine Arbeit und keine Zukunft haben, in die Grenzorte. Sie sind auf der Suche nach Arbeit oder Möglichkeiten, illegal in die USA einzuwandern. Aus dem Heer dieser Verzweifelten rekrutieren die Drogenbosse ungezählte kleine Gefolgsleute, die ihre Ware an den Mann bringen. Das bringt viel Geld, von dem die Ärmsten der Armen nur träumen konnten. Nur wenige von ihnen fragen nach Gesetz und Moral.

Doch kaufen die Syndikate mit ihrem großen Geld nicht nur die Armen, sondern die Korruption durchzieht alle Bereiche der Gesellschaft. Im Dezember wurde der zweite Mann im Rauschgift-Dezernat der Regierung verhaftet, was den Arrest von sieben weiteren hohen Polizei-Offizieren nach sich zog. Calderons großspuriger Kampf scheint zum Scheitern verurteilt, weil er nur auf Gegengewalt gesetzt hat. Jede Woche werden Verhaftete in sogenannten „Presentaciones“ im  Fernsehen vorgeführt, um Erfolg der Polizei zu demonstrieren. Doch es wird immer klarer: Nicht Polizeigewalt schafft Sicherheit, sondern Bildung, Arbeitsplätze und ein soziales Netz sind die Zauberworte gegen die Macht der Mafia unserer Zeit, die Syndikate mit den klangvollen Namen wie das Arellano-Felix-Kartell, das Golf-Kartell und – am mächtigsten – das  Sinaloa-Kartell mit seinem fast legendären Boss, dem Milliardär Joaquin „El Chapo“ Guzman, der seit seiner mysteriösen Flucht 2001 aus einem Hochsicherheitsgefängnis sein Milliarden-Geschäft von geheimen Luxusstätten aus weiterführt, zur Zeit in Honduras wie es gerüchteweise heißt. Calderon muss sich in diesen Tagen gegen Kritik auch aus seiner eigenen Partei wehren. Ihm wird vorgeworfen, das Sinaloa-Kartell weitgehend zu verschonen. Von 53000 Verhaftungen im Drogen-Krieg seit 2006 seien weniger als 1000 Sinaloa-Leute. Darunter allerdings im Januar der berüchtigte „El Teo“ Garcia Simental, der angeblich Hunderte von Opfern in Fässern mit Säure aufgelöst haben soll. Experten meinen, Präsident Calderon könne eine Art Waffenstillstand mit dem Sinaloa-Kartell planen. Liselotte Millauer

Foto: Fahndungserfolg oder Schau zur Beruhigung der Öffentlichkeit? Korrupte Polizisten machen oft mit Drogenbossen gemeinsame Sache. Allein aus Ciudad Juarez flohen deshalb 500000 Einwohner.


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