19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.03.10 / Täuschend echt / Eine Ausstellung im Bucerius Kunstforum widmet sich der trompe l’œil-Malerei – Genaues Hinsehen erwünscht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-10 vom 06. März 2010

Täuschend echt
Eine Ausstellung im Bucerius Kunstforum widmet sich der trompe l’œil-Malerei – Genaues Hinsehen erwünscht

Können Bilder trügen? Diese Frage stellt das Bucerius Kunst Forum in Hamburg mit seiner Ausstellung „Täuschend echt – Illusion und Wirklichkeit in der Kunst“ und widmet sich der Gattung des Trompe-l‘œil, der Kunst der Augentäuschung.

Seine Augen sind weit aufgerissen, sie verraten Angst. Hastig scheint er sich umzublicken, ob ihm jemand folgt. Schon hat er einen Fuß auf den Bilderrahmen gesetzt, zum Sprung bereit – und man möchte ihm eine hilfreiche Hand entgegenstrecken. Da zuckt man jedoch zurück, es ist doch alles nur Illusion. Ein meisterhaftes Gemälde von Pere Borell del Caso, das dieser 1874 schuf und das den Titel trägt „Flucht vor der Kritik“. Die müssen die von Kuratorin Bärbel Hedinger in Europas bedeutenden Sammlungen zusammengesuchten Werke wahrlich nicht fürchten. Die Sammlungen des Vatikan des Prado in Madrid sind ebenso dabei wie die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit einer Zeichnung von Lucas Cranach d. Ä. oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.

Trompe-l’œil nannte man die Kunst, Realität mit so großer Ähnlichkeit wiederzugeben, dass der Betrachter das Abbild nicht mehr sofort von der Wirklichkeit unterscheiden kann. Manche Kirchenmaler beherrschten diese Kunst bis zur Perfektion, wenn es ihnen gelang, eine Kuppel vorzutäuschen, die es nur im Auge des Betrachters gab. Aber auch Maler, die sich eher weltlichen Motiven zuwandten, verwendeten die Technik der optischen Täuschung. Künstler wie Samuel van Hoogstraten und Cornelis Gijbrecht führten sie im 17. Jahrhundert zu einer wahren Meisterschaft. Und das keineswegs nur zum Vergnügen der Betrachter. Hedinger bemerkt, dass gerade Hoogstraten um die philosophische Dimension seiner Kunst wusste. „Für ihn“, so Hedinger in einem Beitrag zum Katalog, „war der Aspekt der Täuschung untrennbarer Bestandteil der Kunst. Die Malerei als Schwester der reflektierenden Philosophie wolle die sichtbare Welt abbilden, daher sei es ihr Bestreben, die Natur zum Verwechseln ähnlich dazustellen. In diesem Sinn sei Kunst ohne Täuschungsmanöver gar nicht möglich.“

Schon in der Antike waren Künstler fasziniert davon, die Wirklichkeit nachzuahmen und Dinge abzubilden, als seien sie real. So berichtet der römische Gelehrte Plinius d. Ä. von einem Wettstreit zwischen dem Maler Zeuxis, einem der berühmtesten Maler des antiken Griechenland, und Parrhaisios. Nach Plinius soll Zeuxis im 5. Jahrhundert vor Christus Trauben auf einem Wandbild so täuschend echt gemalt haben, dass sie von Vögeln angepickt wurden. Sein Konkurrent Parrhasios malte daraufhin einen Schleier über verschiedene gemalte Gegenstände so naturalistisch, dass Zeuxis den Schleier beiseite schieben wollte, um die Malerei darunter besser betrachten zu können. In der Hamburger Ausstellung sind denn auch Gemälde mit Trauben zu entdecken, wenn nicht von den beiden Griechen so doch von keinem Geringeren als Peter Paul Rubens geschaffen. So köstlich ausschauend, dass man zugreifen möchte. Auch die Früchte, die ein Bildhauer im 16. Jahrhundert aus Marmor geschaffen hat, faszinieren durch ihre Authenzität. Selbst faulige Druckstellen sind nicht vergessen worden. Ungenießbar, wenn auch nicht weniger beeindruckend, sind drei kindskopfgroße Walnüsse aus Kirschholz, die an menschliche Hirne erinnern. Einen großen Raum nehmen die so genannten Quodlibets (wie es beliebt) oder Steckbretter ein. Heute würde man von Pinwänden sprechen, auf denen alles festgehalten wird, was man nicht vergessen möchte. Einen Unterschied gibt es allerdings: Die Steckbretter in der Hamburger Ausstellung sind – gemalt. Selbst die Bretter mit all ihrer Maserung und ihren Schrunden entstammen der Palette des Malers.

Preußenfreunde werden schließlich eine erstaunliche Entdeckung machen, denn auch Friedrich der Große hat Eingang in diese Ausstellung gefunden. Johann Albert v. Studnitz (um 1770 – um 1795) schuf um 1790 ein Steckbrett mit dem Bildnis Friedrichs II. und Plänen seiner Schlachten in Kupferstichen. Die nachgeahmten Karten zeigen die Schlesischen Kriege und den Siebenjährigen Krieg. Das Bildnis des Herrschers, das mit einem Strahlen- und Lorbeerkranz gekrönt ist, orientiert sich an dem Porträt, das Anton Graff 1781 schuf. Andere Steckbretter zeigen Utensilien, die Künstler benötigen, etwa Skizzen von Bildern anderer Maler, wie um zu zeigen: So etwas kann ich auch. Doch nicht nur Bildinhalte werden thematisiert, selbst das Glas, das diese Bilder schützen soll, ist manchem Künstler in die Hand, oder besser aus der Hand gefallen. Zersplittertes Glas zu malen zeugt von großer Meisterschaft. Da die Ausstellung nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert ist, kommt es zu wundersamen Begegnungen unterschiedlichster Epochen. Da steht dann ein 2006 geschaffener weiblicher Akt aus Polyester inmitten von altertümlichen Gemälden. Erstmals hat das Bucerius Kunst Forum sein Programm auch um künstlerische Positionen der Gegenwart erweitert: Fotografien von Thomas Demand, Skulpturen von Christian Jankowski und Installationen wie die doppelte Baustelle von Peter Fischli / David Weiss, deren Witz man erst bei genauer Betrachtung der Ausstellung entdeckt, stellen das bis heute anhaltende Interesse der Künstler am Augentrug unter Beweis.

Dass Besucher allerdings nicht immer mit dem Augentrug zurechtkommen, lässt ein Ausspruch eines sichtlich verwirrten Mannes erahnen: „Da oben die Installation verstehe ich nicht. Die ist ja fast so wie die da unten.“ Bretter und Leitern lagen und standen hinter einer Abgrenzung im ersten Stock. Der Mann schüttelte den Kopf und ging. So bekam er nicht mit, dass zwei Männer auftauchten, um letzte Hand an die Ausstellungsarchitektur zu legen. Silke Osman

Die Ausstellung „Täuschend echt − Illusion und Wirklichkeit in der Kunst“ im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Hamburg, ist bis 24. Mai täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr zu sehen, Eintritt 7/5 Euro. Katalog (Hirmer Verlag München, 224 Seiten mit farbigen Abbildungen, in der Ausstellung 24,80 Euro, Buchhandelsausgabe 39,90 Euro).


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren