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13.03.10 / Aus der Tagespolitik heraushalten / IKBG-Präsident Ulrich Rüß über die Aufgaben der Kirche – Als früher »Käßmann-Skeptiker« bestätigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-10 vom 13. März 2010

Aus der Tagespolitik heraushalten
IKBG-Präsident Ulrich Rüß über die Aufgaben der Kirche – Als früher »Käßmann-Skeptiker« bestätigt

Pastor Ulrich Rüß ist einer der führenden Persönlichkeiten der konservativ-evangelischen Bekenntnisbewegung in Deutschland und Europa. Konrad Badenheuer sprach mit dem Hamburger Theologen über den weiteren Weg der evangelischen Kirche in einem immer stärker säkularisierten Umfeld.

PAZ: Sie sind seit Oktober Präsident der 1978 gegründeten Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften (IKBG). Was sind deren wichtigste Anliegen?

Ulrich Rüß: Das wichtigste Anliegen ist das unerschütterliche Eintreten für die Grundlagen des christlichen Glaubens. Diese Grundlagen sind in der Kirche gefährdet – und das international und interkonfessionell. Der erkennbare Verlust der Autorität der Bibel, die Verweltlichung und Profanisierung des Heiligen, die Orientierung nach dem Zeitgeist und Populärem und die Beeinflussung durch Liberalismus und Feminismus führen zu Erosionsprozessen, die die Kirche in ihrem Glaubenskern und in ihrer Substanz bedrohen. Die Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften setzt sich daher ein für eine Glaubenserneuerung und, im biblischen Sinn, für eine christozentrisch-trinitarische Bekenntnis-Ökumene.

PAZ: Sie waren der erste und blieben einer von ganz wenigen, die Frau Käßmann nach Bekanntwerden ihrer Alkoholfahrt den Amtsverzicht nahegelegt haben. Waren Sie davon überrascht?

Rüß: Die Differenzierung zwischen Person und Amt kam bei der Bewertung zu kurz. Zu Recht wollte keiner Pharisäer oder Königsmörder sein. Richtgeist und Häme verbieten sich dort, wo es um das persönliche Scheitern geht. Bei der Bewertung ging es in diesem Fall aber um die angeschlagene Autorität des Amtes und den Verlust der Vorbildfunktion. Das hat Bischöfin Käßmann, wie ihr Rücktritt zeigt, genauso gesehen wie ich.

PAZ: Der schnelle Rücktritt hat Margot Käßmann viel Respekt eingetragen. Doch jenseits des rein Persönlichen: Repräsentiert sie nicht ein theologisches Denken – Stichwort subjektive „Authentizität“ statt der göttlichen Offenbarung als letzter Instanz in Glaubensfragen – das fortbesteht und die Kirche weiter abwärts führen kann?

Rüß: Viele konnten sich mit Frau Käßmann identifizieren, gerade weil ihr Leben auch Brüche auswies. Ihre mediengerechte, zupackende Art und die Fähigkeit, Glaubensfragen verständlich auszudrücken, machten sie sympathisch. Sie wirkte authentisch – und das ist doch gut. Nicht gut ist, wenn das „Ich“ zu stark in den Vordergrund tritt. Ich war ja, soweit ich das sehe, einer der ganz wenigen, die aufgrund theologischer Bedenken nicht für Frau Käßmann als Ratsvorsitzende waren. Diese Bedenken sind leider in kürzester Zeit bestätigt worden.

PAZ: Im Dialog mit der katholischen und der orthodoxen Kirche hat Bischöfin Käßmann eine schwierige Lage hinterlassen. Wie kann es dort nun weitergehen?

Rüß: Wer die Ökumene nicht in gefälligen Sonntagsreden und erstarrt sehen will, wer im Sinne Jesu die Einheit anstreben und verwirklichen will, muss an den theologischen Unterschieden im Geist der Einheit und Wahrheit intensiv unter Gebet und Anrufung des Heiligen Geistes arbeiten. Die Evangelische Kirche muss sich daher deutlicher den Fragen nach dem Kirchen- und Amtsverständnis stellen. Ökumene als Einheit der Kirche lässt sich nicht auf Ökumenischen Kirchentagen „erfeiern“. Es wäre viel gewonnen, wenn die Kirchenleitenden, die Synoden und Gremien bei ihren Beschlüssen die Kirche als Ganze und ihre Einheit im Blick hätten. Je christozentrischer die Kirchen ihren Dialog führen, desto verheißungs- und erfolgreicher wird es sein.

PAZ: Was ist Ihr größter Wunsch an den oder die künftige(n) EKD-Ratspräsidenten/in?

Rüß: Mein größter Wunsch wäre ein Ratspräsident, der fest auf den Grundlagen des Glaubens steht, der fröhlich, offen und mutig und unverfälscht zum christlichen Bekenntnis steht und nicht für Beliebigkeit, der sich in der Weitergabe des Evangeliums als Brückenbauer Gottes versteht und vielen Menschen Mut macht, neu nach Gott zu fragen und für sich den Glauben zu entdecken. Ein Ratspräsident als sozialpolitisches Gewissen ist viel zu wenig. Ein Ratspräsident als „Christopherus“, als Christusträger in unsere Gesellschaft, das wäre wahrhaft evangelisch, christlich.

PAZ: In den 50er Jahren zählten die deutschen evangelischen Landeskirchen noch 43 Millionen Gläubige, heute sind es noch 24,5 Millionen zudem stark überalterte Mitglieder. Wie viel kann in einer Generation noch übrig sein vom deutschen Protestantismus?

Rüß: Der Protestantismus interessiert mich nicht. Alle Ismen sind ideologiebefrachtet. Mich interessiert die Zukunft der Evangelischen Kirche. Wie viele ihr in 30 Jahren noch angehören, weiß Gott allein. Dennoch befürchte ich, dass die Kirche weiter Mitglieder verliert und damit an Einfluss auf unsere Gesellschaft. Das hat Auswirkungen auf Kultur, auf das Stadtbild (Kirchtürme), Rechtsprechung, Menschenbild, kirchlich-karitative Einrichtungen, auf Sitte, Werte und Feiertagskultur, die wir heute noch nicht absehen können.

PAZ: Ihre „Heimatgemeinde“ in Hamburg-Eppendorf feiert lange, liturgisch anspruchsvolle Sonntagsgottesdienste, die aber bestens besucht sind. Kann es sein, dass viele schlecht besuchte Gottesdienste in „normalen“ Gemeinden die Gläubigen gleichsam unterfordern?

Rüß: Ein Gottesdienst will nicht gehalten, sondern gefeiert sein. Dazu gehören eine ausgeprägte Liturgie, eine ansprechende und überzeugende Predigt und die (sonntägliche) Feier des Heiligen Abendmahles. Die liturgische Form der „Lutherischen Messe“ spricht, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, gerade auch junge Menschen und Kirchenferne an, wenn sie in ihrer Bedeutung authentisch vermittelt wird. Also, nur Mut zu mehr Liturgie!

PAZ: Wie bewerten Sie den Umgang der EKD in den letzten Jahren mit dem Thema Vertreibung und mit den deutschen Vertriebenen?

Rüß: Bei den vielen Worten der EKD zu politischen Themen weiß ich von einer Stellungnahme der EKD zum Thema Vertreibung seit der bekannten „Ostdenkschrift“ von 1965 nichts. Ich bin aber der Meinung, dass das Thema Vertreibung und das Schicksal deutscher Vertriebener deutlicher im Fokus stehen müssten.

PAZ: Sollte die Kirche auf politische Wortmeldungen womöglich ganz verzichten? Wenn nein, wann soll sie ihre Stimme erheben und wann nicht?

Rüß: Die Kirche sollte sich aus dem tagespolitischen Geschäft weitgehend heraushalten. Dazu hat sie kein Mandat. Sie darf sich nicht zur politischen Partei machen. Anders sieht das aus bei Glaubensfragen und ethischen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung wie beispielsweise Abtreibung, Sterbehilfe, Umgang mit Embryonen und Genforschung. In diesen ethischen Grundsatzfragen wünschte ich mir mehr Gemeinsamkeit mit der katholischen Kirche.


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