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13.03.10 / Das Land zerbröselt / Schlaglochpisten als Symbol: Die elementare Basis des deutschen Staates erodiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-10 vom 13. März 2010

Das Land zerbröselt
Schlaglochpisten als Symbol: Die elementare Basis des deutschen Staates erodiert

Nicht nur die einst exzellente deutsche Infrastruktur zeigt Schwächen, auch die Sozialsysteme sind marode. Umso größer sind die Sorgen über erste Krisensymptome im Währungssystem.

Die Deutschen lebten in einem „blitzblanken Gemeinwesen“, beruhigte der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück 2009 seine von der Weltfinanzkrise verunsicherten Landsleute. Die hörten die Botschaft gewiss gern, doch schwindet der Glaube.

Der Blick auf die vom Winter zerfurchten Straßen bestärkt ein verbreitetes Gefühl, dass etwas nicht stimmt im bundesdeutschen Staat. Jeder weiß: Das hat nicht allein der harte Winter gemacht. Jahrelange Vernachlässigung tritt, vom Frost aufgesprengt, nur deutlicher denn je zutage.

Ihre in der Welt beneidete Infrastruktur war jahrzehntelang der Stolz der Bundesrepublik: Tadellose Straßen und Autobahnen, pünktliche Züge und Busse, moderne Häfen und Flughäfen standen für das Ganze, das Land, in dem die Dinge eben funktionierten. Mit einer Mischung aus Stolz und ein wenig Herablassung

blickten viele Bundesbürger über die Grenzen, wo es im Vergleich zu ihrem Staat drunter und drüber zu gehen schien. Auch dort schien die marode Infrastruktur nur das äußere Merkmal zu sein, doch hier für Ineffizienz, Organisationschaos und Schlamperei.

Umso tiefer der Eindruck, den das heimische Schlaglochdesaster nun hinterlässt. Und der schlimme Eindruck trügt nicht: Allein zehn Prozent der deutschen Brücken sind sanierungsbedürftig, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ruft um Hilfe, weil ihm das Geld für die Aufrechterhaltung eines zeitgemäßen Schienenverkehrs fehlt.

Am Nimbus des vermeintlich „blitzblanken Gemeinwesens“ nagen spektakuläre Skandale wie das Berliner S-Bahn-Chaos oder die Katastrophe beim Kölner U-Bahn-Bau. Dort wurde ein Versagen der gesamten Organisationsstruktur sichtbar. Genau darauf aber waren die Deutschen doch so stolz: ihre überlegene Organisation. Statt dessen offenbarte sich ein Knäuel aus Inkompetenz und Dickfelligkeit.

Dabei ist es längst nicht bloß die Infrastruktur. Das Gesundheitswesen? Chronisch krank. Die Rentenkasse? Hier wurden die Deutschen in einen Dschungel privater Zusatzvorsorge gejagt, in dem sie viel Geld an private Anbieter verlieren.

Gleichzeitig mussten sie erleben, wie Landesregierungen in ihren Landesbanken Milliarden nach Hallodrie-Manier verbrannten. Geld, das schon lange nicht mehr da ist: Selbst wohlhabende Gemeinden müssen zugeben, ihre Schulen und Kindergärten, ihre Schwimmbäder und Bibliotheken bald nicht mehr unterhalten zu können. Einrichtungen, in denen schon heute der Putz von der Decke rieselt.

Während die öffentliche Hand immer weniger in der Lage ist, die Basisstrukturen des Staates in Schuss zu halten, flüchten Politiker in Aufsehen heischende Symbolpolitik. Kaum noch jemand erinnert sich daran, dass die Regierungen der EU vor wenigen Jahren verabredet haben, Europa im Rahmen eines sogenannten „Lissabonprozesses“ zur „innovativsten Region der Welt“ zu entwickeln. Eine Lachnummer vor dem Hintergrund der aktuellen Schwierigkeiten.

Die Lage erinnert den einen oder anderen gar an die sieche DDR, wo „Leuchtturmprojekte“ und großspurige Ankündigungen Leistungsfähigkeit simulierten, als das Land längst am Abgrund stand. Und nun geht es allem Anschein nach sogar an die ökonomische Basis schlechthin, die Währung und die in ihr gehaltenen Vermögenswerte: Experten wähnen Risse im Euro. Sollte aber das Geld erodieren, dann, so die Sorge, werde der Vertrauensschwund existenziell und zur Gefahr für das demokratische System – eine Erschütterung drohe, wie (siehe unten) schon einmal in der Geschichte.        Hans Heckel

 

Zeitzeugen

Arnulf Baring – Der 1932 geborene Historiker rief 2002 die Deutschen „auf die Barrikaden“: „Wir dürfen nicht zulassen, dass hilflose Politiker das Land verrotten lassen“, so Baring damals in der „Frankfurter Allgemeinen“. In seinem Buch „Scheitert Deutschland?“ riet er bereits 1997 zum Abschied von „Wunschwelten“.

 

Otto v. Bismarck – Der „Eiserne Kanzler“ (1815–1898) war weniger pessimistisch, was die Zukunft des von ihm vereinten Staates anging: Um Deutschland sei ihm nicht bange, „der Klumpen ist zu groß, um gänzlich zerrieben zu werden.“ Man müsse Deutschland nur in den Sattel setzen, reiten werde es schon können. Auf die Frage, wer ihn selbst denn je ersetzen sollte, lästerte Bismarck, die Friedhöfe seien voll von Leuten, die sich für unentbehrlich gehalten hätten.

 

Nikolaj Kondratjew – Der russische Ökonom (1892–1938, unter Stalin erschossen) entwickelte eine „Theorie der langen Wellen“, wonach Aufstieg und Niedergang der Wirtschaft sich in Zyklen von 40 bis 60 Jahren wiederholen. Danach wären alle Prognosen nach einem dauerhaften Niedergang oder ewigen Aufstieg einer Volkswirtschaft hinfällig. Die nächste große Innovationswelle setze den nächsten zyklischen Aufschwung sowieso in Gang.

 

Paul Kennedy – Der 1945 geborene britische Historiker erweckte 1987 großes Aufsehen mit seinem Buch „Aufstieg und Fall der großen Mächte“. Hier untersuchte er an zahlreichen historischen Beispielen unter anderem Ablauf und Ursachen für den Niedergang einst vorherrschender Imperien. Ein zentraler Begriff dabei ist die „imperiale Überdehnung“ („imperial overstretch“), bei der die Macht ihre Kräfte an zu vielen Fronten verschleißt.

 

Oswald Spengler – Der Geschichtsphilosoph (1880–1936) sah große Kulturen werden und vergehen wie Lebewesen, jede große Kultur habe etwa 1000 Jahre Lebenszeit. In seinem berühmtesten Werk „Der Untergang des Abendlands“ sah er unseren Kulturkreis unweigerlich der Agonie entgegentaumeln, unfähig, noch kreativ zu wirken.


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