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03.04.10 / Christen, Muslime und Juden streiten um Erdöl

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-10 vom 03. April 2010

Gastbeitrag
Christen, Muslime und Juden streiten um Erdöl
von Prof. Dr. Daniele Ganser

Den Mitgliedern der drei großen monotheistischen Religionen der Welt, den Muslimen, den Juden und den Christen, ist es in den letzten 3000 Jahren nicht gelungen, friedlich in Toleranz und Offenheit zusammenzuleben. Obschon die überwältigende Mehrheit der Gläubigen in allen drei Gruppen früher wie heute keinerlei Gewalt anwendet, gab und gibt es immer wieder Fanatiker in jeder der drei Gruppen, die zu Abgrenzung und Hass, oder gar Totschlag und Krieg aufgerufen haben, und dies leider mit Erfolg.

Ein Ende der Spannungen ist nicht abzusehen. Denn der globale Kampf ums Erdöl intensiviert sich. Die mit Abstand größten Reserven liegen ausgerechnet in den muslimischen Ländern am Persischen Golf und im Kaspischen Meer. In den christlichen Nationen gibt es zwar auch Erdöl, aber immer weniger. In der Nordsee geht die Erdölförderung von Großbritannien und Norwegen zurück. Auch die USA und Mexiko beklagen eine sinkende Produktion. Der Ölrausch, welcher die letzten 60 Jahre prägte und den Konsum von sechs Millionen Fass pro Tag im Jahre 1945 auf heute unglaubliche 85 Millionen Fass pro Tag ansteigen ließ, neigt sich seinem Ende zu. Die französische Erdölfirma Total warnt, dass aufgrund der fallenden Produktion in vielen Erdölfeldern das globale Fördermaximum („Peak Oil“) unterhalb der Marke von 100 Millionen Fass pro Tag erreicht werde. Danach werde weniger und vor allem nur noch sehr teures Erdöl im Angebot sein.

Muss einen das kümmern? Ich denke ja, denn wir sind alle „erdölsüchtig“, ganz unabhängig davon, ob man einer der drei religiösen Gruppen angehört oder nicht. Es existiert ein breiter Konsens in der christlichen europäischen Zivilbevölkerung, dass wir keinen Krieg, keinen Terror und keine Gewalt auf unseren Straßen und in unseren Schulen wünschen. Denselben Wunsch haben auch die Muslime und Juden. Es ist jeweils nur eine Minderheit von Fanatikern, die Spaltung predigen und Gewalt schüren. Trotzdem besteht die Gefahr, dass sich Ressourcenkriege ausweiten, und die Menschen entlang der religiösen Trennlinien gegeneinander kämpfen. Das Spalten in Gruppen und danach das Abwerten der einen Gruppe ist einfach und aus der historischen Forschung hinlänglich bekannt. Spaltung und Abwertung gehen der Gewalt immer voraus. Man nehme etwa den Genozid in Ruanda 1994, bei dem rund 800000 Menschen starben. Zuerst betonte die Hutu Mehrheit ihre Andersartigkeit gegenüber der Tutsi Minderheit und unterdrückte alle Gemeinsamkeiten. Danach wurden die Tutsi als minderwertige und gewalttätige Menschen zweiter Klasse, ja als Ungeziefer, Schlangen, Kröten und Kakerlaken verunglimpft. Damit ging alle Empathie verloren, erst nach der Spaltung und Abwertung folgte das Morden.

Dass es den Prozess der Spaltung, Abwertung und Tötung auch in Europa und den USA gab, ist bekannt. Im Mittelalter wurden Frauen, die als Heilerinnen tätig waren, als Hexen verbrannt oder in Seen ertränkt. Die vorausgehende Spaltung in Frauen und Männer geschah wie immer: Die Unterschiede wurden hervorgehoben, die Gemeinsamkeiten unterdrückt. Danach wurden die als „gefährlich“ eingestuften Frauen abgewertet, indem man erklärte, sie seien vom Teufel besessen. Den Indianern in Nordamerika erging es ähnlich, als „primitive Rothäute“ wurden sie zuerst diffamiert und abgewertet, erst danach ausgerottet.

Im Dritten Reich sorgte der Davidsstern für eine klare Spaltung, danach wurden Juden in ganz Europa als gefährliche Menschen zweiter Klasse abgewertet, schließlich gar als Tiere bezeichnet und danach in Konzentrationslagern umgebracht. Erneut waren Spaltung und Abwertung die zentralen Schritte, welche der Gewalt vorausgingen. Auch der Kampf der RAF-Terroristen verlief nach diesem Schema, was gerne übersehen wird. Die Spaltung in Polizisten und RAF-Terroristen war wegen der Uniform der Beamten einfach und offensichtlich. Fatal war die Abwertung, bei der Polizisten zuerst als „Bullen“ diffamiert und dann mit dem Slogan „Bullen sind Schweine, keine Menschen“ abgewertet und somit zum Töten freigegeben wurden.

Als Historiker und Friedensforscher erwarte ich, dass sich dieses Muster wiederholt. Mit neuen Gruppen, neuen Opfern, neuer Gewalt und neuen Tätern, aber im Kern doch ähnlich. Ich bedaure dies, mache mir aber keine Illusionen, dass dieser Prozess durch bloße Beschreibung gestoppt werden könnte. Tatsächlich ist die neue Gruppe, gegen welche sich in Europa und den USA heute beträchtliches Misstrauen richtet, schon klar definiert: Es sind diesmal die Muslime. Auch die Abwertung hat schon eingesetzt, indem Muslime wiederholt als „gewalttätig“ oder gar pauschal als „Terroristen“ diffamiert wurden. Noch im Kalten Krieg galt in Westeuropa und den USA der atheistische Kommunist als größte Gefahr schlechthin, vor den Muslimen, die ja keine Kommunisten waren, hatte niemand Angst. Doch nur 20 Jahre nach dem Mauerfall hat sich das Blatt gewendet: Das Feindbild „Kommunismus“ hat sich aufgelöst und wurde durch das Feindbild „Islamismus“ ersetzt.

Der Tag, an dem das Misstrauen gegenüber den Muslimen in den USA und Europa sprunghaft anstiegen war und die Abwertung einer ganzen Religionsgruppe einsetzte, ist klar definiert: Es war der 11. September 2001. Wer sich in den USA und Europa heute getraut, kritische Fragen zu diesen Terroranschlägen zu stellen − zum Beispiel zum ungeklärten Zusammensturz des Wolkenkratzers WTC7, der von keinem Flugzeug getroffen wurde − macht sich keine Freunde. Denn die Täter standen schon am Tag des Anschlages fest: Damals waren es die Kommunisten, heute die Muslime, kritische Rückfragen sind keine erwünscht.

Auf die Terroranschläge folgten die Kriege. Deutsche, französische, spanische, holländische und italienische Soldaten in Afghanistan, in ihrer Mehrheit Christen, werden von den meisten muslimischen Afghanen als „ungläubige und gewalttätige Besetzer“ wahrgenommen. Dasselbe gilt für Briten und Amerikaner im Irak. Dies ist verständlich, denn auch umgekehrt würden afghanische Truppen in Berlin und Hamburg oder irakische Bomber über London und Washington ohne Zweifel von den Christen als Aggressoren verurteilt.

Eine Entspannung ist leider nicht in Sicht, im Gegenteil. Juden in Israel und den USA fordern seit Jahren einen Krieg gegen den muslimischen Iran, um das Land daran zu hindern eine Atombombe zu bauen. Es steht aber außer Frage, dass ein solcher Krieg die Spannungen zwischen den drei monotheistischen Religionen noch verschärfen würde. Es ist bestimmt eine Utopie zu erwarten, dass die zwei Milliarden Christen, die 1,5 Milliarden Muslime und die 15 Millionen Juden ihre Gewalt gegeneinander und untereinander in Gedanke, Wort und Tat völlig einstellen würden. Wir wissen, das wird nicht geschehen, weil sich noch zu wenige Menschen dafür einsetzen. Viel einfacher ist es doch, Feindbilder zu pflegen. Das Ziel der Kriegspropaganda, damals wie heute, besteht darin, zwei Gruppen zu schaffen, und danach bei der einen die Erinnerung auslöschen, dass die andere Gruppe auch aus Menschen besteht. Der Autor (*1972) ist Historiker und Friedensforscher und arbeitet als Dozent an der Universität Basel.


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