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10.04.10 / Angst vor der Billigkonkurrenz / Arbeitsmarkt muss sich 2011 Osteuropäern öffnen − Arbeitgeber entdecken die Mindestlöhne für sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-10 vom 10. April 2010

Angst vor der Billigkonkurrenz
Arbeitsmarkt muss sich 2011 Osteuropäern öffnen − Arbeitgeber entdecken die Mindestlöhne für sich

Jahrelang galten deutschen Arbeitgebern Mindestlöhne als Teufelszeug. Doch angesichts der vollen Arbeitnehmerfreizügkeit ab 2011 hat sich das geändert. Und während die Tarifpartner sich vor den Billiglöhnern aus dem Osten der EU zu wappnen versuchen, entdecken immer mehr deutsche Arbeitnehmer Polen.

Ob für Gebäudereiniger, Pflegehilfskräfte, Leiharbeiter oder im Wachgewerbe, derzeit wird in vielen Branchen über die umstrittenen Mindestlöhne verhandelt. Und erstaunlicherweise zeigen sich derzeit die Arbeitgeber nicht nur verhandlungsbereit, sie stimmen sogar der Erhöhung bereits vorhandener oder völlig neu festzulegender Mindestlöhne zu. So gilt ab Juli für die 800000 Beschäftigten in Altenheimen und bei ambulanten Pflegediensten eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro (West) und 7,50 Euro  (Ost). Für die 170000 Beschäftigten im Sicherheitsgewerbe wird noch über ein Mindestniveau zwischen 6,35 und 7,50 Euro verhandelt und bei den

Leiharbeitern sieht es so aus, als würden sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter auf 7,60 Euro einigen können.

Die neue Verhandlungsbereitschaft der Arbeitgeber ist jedoch nicht auf einen Sieg der Argumente der Gewerkschaften und ihrer Forderung hinsichtlich eines „sozial gerechten“ Lohnes zurückzuführen, sondern hängt eng mit dem 1. Mai 2011 zusammen. Denn an diesem Tag in etwas mehr als einem Jahr müssen Deutschland und Österreich unweigerlich ihren Arbeitsmarkt für Osteuropäer öffnen. Die beiden deutschsprachigen Länder haben diesen Moment so lange wie möglich hinausgezögert. Der deutsche Versuch, zumindest für Arbeitnehmer aus dem benachbarten Polen einige Hürden zu errichten, wurde Ende Januar vom Europäischen Gerichtshof als diskriminierend abgetan und für ungültig erklärt.

Ungefähr seit diesem Zeitpunkt bemühen sich vor allem Arbeitgeber verschiedener Branchen, in denen die Löhne den wichtigsten Kostenfaktor darstellen, um die Festlegung von Mindestlöhnen. „Mit Beginn der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit zeichnet sich eine typische Entsendeproblematik ab, auf die ein Mindestlohn nach dem Entsendegesetz die geeignete Antwort ist“, so die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Denn in dem Moment, in dem es Mindestlöhne gibt, müssen Arbeitgeber, auch im Ausland ansässige, ihren Mitarbeitern den in Deutschland üblichen Mindestlohn zahlen, so er sie hierzulande zur Arbeit einsetzt. Das bedeutet beispielsweise, dass ein in Polen ansässiger Pflegedienst nicht seinem deutschen Konkurrenten einen Auftrag in Deutschland wegschnappen kann, weil er wegen niedrigerer Löhne, seine Dienste billiger anbieten kann. Auch das polnische Unternehmen muss die für seine Branche in Deutschland zwischen den Tarifparteien vereinbarten Löhne zahlen. Das schützt nicht nur die Arbeitnehmer vor billigerer Konkurrenz, sondern auch die Arbeitgeber, da Unternehmen aus dem osteuropäischen Ausland genau wie sie bestimmte Mindeststandards einhalten müssen.

Kritiker von Mindestlöhnen weisen zwar darauf hin, dass Mindestlöhne Arbeitnehmer in die Schwarzarbeit drängen, da manche Arbeitgeber nicht bereit oder in der Lage sind, für bestimmte Tätigkeiten Mindestlöhne zu zahlen, doch dieses Risiko wird von beiden Tarifpartnern akzeptiert. Auch wird den Arbeitgebern vorgeworfen, sie würden mit ihrem Ja zu Mindestlöhnen den Wettbewerb einschränken, so dass Verbraucher höhere Preise zahlen müssten als nötig. Gleichzeitig profitieren die Verbraucher, die auch Arbeitnehmer sind, davon, dass die Lohnspirale nach unten unterbrochen wurde.

Doch während Ökonomen noch darauf hinweisen, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit keine Gefahr sei, schließlich seien jene Länder, in denen sie schon seit Jahren gelte, keineswegs von niedrig qualifizierten Arbeitnehmern aus Osteuropa überrannt worden, zeichnet sich eine Gegenbewegung ab.

Zwar ist diese Gegenbewegung noch nicht in Zahlen erfasst, doch in bestimmten Gegenden in Polen treffen die Menschen immer öfter auf deutsche Handwerker und andere Fachkräfte, die ihr Geld östlich der Grenze ihres Heimatlandes verdienen. Vor allem im wirtschaftlich florierenden Raum Stettin suchen deutsche Selbstständige und Arbeitslose ihr Glück. So arbeiten etwa 2500 Deutsche in der Region. Viele von ihnen stammen aus Mecklenburg-Vorpommern, wo in grenznahen Kreisen Arbeitslosenquoten von über 15 Prozent verzeichnet werden. „In Vorpommern gibt es Firmen aus dem Hotel- und Sicherheitsgewerbe, die Stundenlöhne unter zwei Euro zahlen“, klagt Helmut Uder vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). In Stettin und Umgebung werden höhere Löhne gezahlt. Zudem liegt die Arbeitslosenquote hier bei vergleichsweise traumhaften 5,3 Prozent.

„Es gab in den letzten eineinhalb Jahren hierzu desöfteren Reportagen mit human-touch in polnischen Magazinen“, informiert Kataryna Soska, Pressesprecherin der Deutschen Auslandshandelskammer in Warschau. Offizielle Statistiken gebe es zu dieser Entwicklung nicht, da viele Deutsche, die in Polen − legal oder illegal − arbeiten, weiter in Deutschland gemeldet bleiben. Und: „Randstad Deutschland überlässt Mitarbeiter von Deutschland nach Polen – an deutsche Kundenunternehmen“, so Simone Teufel von der Zeitarbeitsfirma Randstad gegenüber der PAZ. „Beispielsweise haben wir Mitarbeiter, die bei einem in Deutschland ansässigen Windrad-Hersteller im Einsatz sind.“

Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung hat zwar 2009 mehr Arbeitnehmer nach Polen vermittelt als in den Jahren davor, doch insgesamt seien es nur 23 Personen (2008: 16) gewesen. Zum Vergleich: 2809 wurden in die Schweiz vermittelt und 2464 nach Österreich.    Rebecca Bellano


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