28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
10.04.10 / »Sie lebte für die anderen« / Die Frauenrechtlerin Hanna Bieber-Boehm stellte die geliebte Malerei der sozialen Arbeit hintan

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-10 vom 10. April 2010

»Sie lebte für die anderen«
Die Frauenrechtlerin Hanna Bieber-Boehm stellte die geliebte Malerei der sozialen Arbeit hintan

Sie war ihrer Zeit weit voraus, und doch sind die Probleme, die sie anpackte, so aktuell wie nie. Kinder- und Jugendschutz, die Sorge um minderjährige Mütter, der Schutz Abhängiger vor Übergriffen ihrer Arbeitgeber – all das bewegte Hanna Bieber-Boehm, die vor 100 Jahren, am 15. April 1910, in Berlin starb.

Ursprünglich hatte sie Malerin werden wollen, doch waren die Zeiten für Frauen in diesem Beruf damals noch nicht sehr rosig. Dennoch besuchte die am 6. Februar 1851 in Jakunowen (später Angertal) als Tochter des späteren Rittergutsbesitzers Otto Boehm auf Glaubitten bei Korschen, Kreis Rastenburg geborene Hanna Elmire Flora Boehm Kunstschulen in Berlin, Paris und München und ließ sich in Malerei ausbilden. Reisen führten sie nach Italien, Frankreich und sogar in den Orient. Sie ließ sich in Berlin nieder und widmete sich ihrer Kunst, malte Porträts, Genre- und Landschaftsbilder, auch war sie Mitglied des Vereins Berliner Künstlerinnen. In den Jahren 1874 und 1881 erschienen zwei Bände mit Silhouetten unter dem Titel „Dunkle Bilder“ und später ein Band „Märchenbilder“.

In Berlin hatte sie den sieben Jahre jüngeren Jurastudenten Richard Bieber kennengelernt, der in derselben Familienpension wohnte wie sie. Als aus der Freundschaft, in der Hanna durchaus dominiert haben soll, wie Verwandte zu berichten wissen, eine Ehe wurde, war die Familie zunächst entsetzt, denn Bieber war Jude, wenn auch nicht praktizierender. Der evangelische Pfarrer an der Berliner Marienkirche weigerte sich, das Paar kirchlich zu trauen. Hanna war dermaßen erbost, dass sie nun ihrerseits aus der Kirche austrat. So gaben die beiden sich 1888 „nur“ standesamtlich das Ja-Wort – zu der Zeit eine Seltenheit.

Die Biebers wohnten in der Kaiser-Wilhelm-Straße 39, und da sie keine Kinder hatten, waren Nichten und Neffen gerngesehene Gäste. Wie etwa Ellen van den Bergh (1881–1982), die Tochter von Elisabet Boehm (1859–1943), Gründerin des „Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins“ und verheiratet mit Hannas Bruder Otto. Ellen erinnert sich an Tante Hanna:

„Die Wohnung war angefüllt mit Bildern von Tante Hanna. Zwei große Kopien von Seestücken von Achenbach und ein sehr gutes Porträt von Onkel Bieber im Rechtsanwaltstalar hingen im Esszimmer. In seinem Arbeitszimmer hingen die Porträts seiner Eltern und einige Landschaften, während ihr Zimmer von dem großen Gemälde ,Olivia und der Narr‘ beherrscht wurde, um das sich eine Fülle von Studienköpfen und Landschaften gruppierte. Aber auch in den Korridoren und Schlafzimmern, überall hingen Bilder von Tante Hannas Hand … An Regentagen durfte ich in den Büchern und Skizzen von Tante Hanna kramen. Einmal sagte ich ihr: ,Es ist doch ein Jammer, dass du hier nicht mehr malst. Willst du es nicht wieder aufnehmen?‘ und sie erwiderte: ,Weißt du, es gibt so viele Menschen, die malen, aber die soziale Arbeit, die ich tue, ist viel wichtiger und die nimmt mir niemand ab.‘“

Hanna Bieber-Boehm hatte sich schon längst drängenderen Problemen zugewandt, als sie mit ihrer Kunst bewegen konnte. Menschen aus dem Umland wurden von der ständig wachsenden Großstadt Berlin angezogen wie Motten vom Licht. Vor allem junge Frauen gerieten dabei oft unter die Räder. Um sie vor Prostitution zu schützen, gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann 1889 den Verein „Jugendschutz“, der Heime betrieb, in denen jungen Mädchen Wohnung, Nahrung, Stellenvermittlung und Haushaltungsunterricht geboten wurde. In Berlin gab es um 1895 zwei Heime mit 70 Plätzen, dazu gehörte ein Kinderhort mit 50 und ein Kindergarten mit 30 Plätzen. Um 1900 zählte der Verein „Jugendschutz“ fast 600 Mitglieder.

Hanna Bieber-Boehm hielt Vorträge, die auch gedruckt wurden, so 1890 „26000 Schlafstellen! Ein Hilferuf … Gefahren der ersten Kinderjahre“, 1895 „Vorschläge zur Bekämpfung der Prostitution“ als Anlage zu einer Petition an den Reichstag, 1896 „Die Sittlichkeitsfrage, eine Gesundheitsfrage“.

Ein besonderes Verdienst der Ostpreußin besteht darin, dass sie die Prostitution in der Frauenbewegung zum Thema machte, in einer Zeit, da dieses Thema als „schmutzig“ galt und man es gern unter den Teppich kehren wollte. Als Mitglied der Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ (BDF), dessen Mitbegründerin sie war, setzte sie sich auch für die Einführung der Gütertrennung in der Ehe ein, damit Ehefrauen über ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen selbst entscheiden können. Weiter wurde vom BDF die Gleichberechtigung der Mutter mit dem Vater bei der Ausübung der elterlichen Gewalt gefordert und die Besserstellung unehelicher Kinder. Hanna Bieber-Boehm setzte sich weiter für die Anstellung so genannter „Polizeimatronen“ ein, die bei der Vernehmung junger Mädchen und Frauen durch die Polizei zugegen sein sollten, um diese vor den oft rüden Umgangsformen der männlichen Polizisten zu schützen.

Als sie im Jahre 1898 ihr väterliches Erbe angetreten hatte, kaufte sie 1902 das umgebaute Winzerhaus auf dem von Zisterziensermönchen vormals als Weinberg genutzten Priorsberg in Neuzelle an der Oder (Niederlausitz) und richtete dort ein Ferienerholungsheim für die Insassen ihrer Heime ein. Hildegard Schneider, pensionierte Lehrerin aus Neuzelle und engagierte Bewahrerin des Andenkens an Hanna Bieber-Boehm, weiß zu berichten:

„Hier befand sich das ,alkoholfreie Jugenderholungsheim für bleichsüchtige schwächliche Mädchen‘, auch für Mütter mit Kindern und ältere Frauen. Im Jahre 1908 waren dort 120 Gäste. Auch eine Haushaltungs- und Gartenbau-Ausbildung gehörte dazu. Auch Hanna Bieber-Boehm hielt sich oft in Neuzelle auf. Nach längerer Krankheit starb sie am 15. April 1910 in Berlin. Ihre Asche wurde hier in Neuzelle beigesetzt. Nur leider rudimentär ist das einstige Jugendstildenkmal erhalten, auf dem noch die Inschrift erkennbar ist: ,Sie lebte für die anderen.‘ Die Urne ist verschwunden. Heim und Schule wurden ab 1921 als Haushaltungsschule des Lette-Vereins Neuzelle in der Mark, Stiftung Hanna Bieber-Boehm, weitergeführt. Ab 1935 diente das Haus verschiedensten Zwecken, wurde zur Fast-Ruine und ist heute ein modernes Internat des Rahn-Gymnasiums und der Oberschule mit einer (privat finanzierten) Hanna-Bieber-Boehm-Gedenkstätte.“   Silke Osman


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren