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24.04.10 / Politisches Tabu gebrochen / Auch 95 Jahre nach dem Massaker geben armenische Vertriebene keine Ruhe − und haben Erfolge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Politisches Tabu gebrochen
Auch 95 Jahre nach dem Massaker geben armenische Vertriebene keine Ruhe − und haben Erfolge

Von einem „Scherbenhaufen“ sprachen letzten Sommer amerikanische Armenier und klagten über den abnehmenden Einfluss ihrer Lobby-Verbände auf die Politik Barack Obamas. Die Türkei schien Amerika „erobern“ zu können. Der Völkermord an den Armeniern sollte auch nach 95 Jahren ein Tabu der internationalen Politik bleiben. Doch jetzt wendet sich das Blatt.

Der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski stufte die armenischen Lobbyisten (neben den kubanischen und den israelischen) als drittmächtigste ethnische Gruppe ein. Und die politischen Ent- wicklungen der letzten Monate zeigen, dass er offenbar Recht hat, denn trotz des massiven Einwandes von US-Außenministerin Hilary Clinton hat der Auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses im März eine Resolution angenommen, die die Tötung Hunderttausender Armenier während des Ersten Weltkriegs in der Türkei als Völkermord bezeichnet. Die Resolution erhielt mit 23 zu 22 Stimmen die denkbar dünnste Mehrheit. Vor der Abstimmung hatte die Regierung von Präsident Barack Obama, der im Wahlkampf noch offen vom „Genozid“ an den Armeniern gesprochen hatte, vor einer Beleidigung der Türkei im Fall einer Annahme gewarnt, denn das Nato-Mitglied Türkei ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Nahen und Mittleren Osten.

Historiker schätzen, dass zwischen 1915 und 1917 im Osmanischen Reich bei Massakern und Vertreibungen bis zu 1,5 Millionen Armenier getötet wurden. Die Türkei spricht von höchstens 500000 armenischen Todesopfern und lehnt die Einstufung der Verbrechen als Völkermord ab. Viele Forscher sprechen dagegen vom ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Die Türkei wehrt sich entschieden gegen diese Einschätzung und hat wiederholt erklärt, die Zahl der Toten sei übertrieben, und die Armenier seien Opfer von Bürgerkrieg und Unruhen geworden. Zudem hätten sie sich mit dem damaligen Kriegsgegner Russland verbündet.

Ähnlich wie der Auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses votierte im März das schwedische Parlament. Die Zustimmung zu dem Antrag der linken Opposition war überraschend; aus dem Regierungslager kamen mindestens vier Stimmen. Unmittelbar nach Bekanntwer-den des Abstimmungsergebnisses wurde die türkische Botschafterin in Stockholm, Zergun Korutürk, zu Konsultationen nach Ankara beordert, der schwedische Botschafter in der Türkei, Christer Asp, ins Außenministerium einbestellt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte eine geplante Reise nach Schweden ab. Mit ähnlichen diplomatischen Manövern reagierte die türkische Regierung auf die Abstimmung des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses.

Über die offenkundigen Erfolge der „Amerikanischen Armenischen Lobby“, wie das Netzwerk von Nachfahren der Vertriebenen und Opfer genannt wird, sind politische Beobachter erstaunt. Lange Zeit wurden sie belächelt und ihr Einfluss unterschätzt. Dabei stehen die US-Armenier politisch-organisatorisch und finanziell auf eigenen Beinen und sind nicht abhängig vom armenischen Mutterland, das erst seit 1991 wieder unabhängig ist und als verarmtes Land gilt. Breite Unterstützung erhalten die verschiedenen Organisationen aber von der der US-armenischen Gemeinschaft.

Auch die Türkei versucht durch das „American Turkish Council“, die Interessen des türkischen Staates in den USA zu vertreten. Dank der massiven finanziellen Unterstützung aus Ankara konnten türkische Verbände in den USA dadurch ihren Einfluss etwas ausbauen. Was ihnen jedoch fehlt, ist die personelle Präsenz, die die armenischen Verbände erworben haben. Deren Vertreter sind direkt in Parlamenten vertreten oder äußern sich auf Demonstrationen lautstark. Nach 25 Jahren intensiver Lobby-Arbeit auf verschiedenen Ebenen stellen sich nun erste Erfolge ein.

Ungleich schwächer, unkoordinierter und mit weniger Einfluss agieren dagegen die armenischen Vertriebenen in Europa. Das Thema Anerkennung des Völkermordes spielt derzeit bei den Verhandlungen mit dem Beitrittskandidaten Türkei keine Rolle. Seit dem sensationellen Beschluss des Europäischen Parlamentes im Jahr 1987, in dem Brüssel die Ereignisse von 1915/17 als Völkermord bezeichnete, sind über 20 Jahre vergangen. Anscheinend erinnert sich keiner der Parlamentarier in Brüssel mehr an dieses wichtige Dokument. Die europäischen Armenier haben es in den vergangen 20 Jahren versäumt, den Beitritttskandidaten Türkei auf die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der eigenen Geschichte immer wieder hinzuweisen. In der gleichen Zeit arbeitete die Türkei daran, ihr Image aufzubessern. Dabei präsentiert sich die Türkei als wichtiger Bündnispartner des Westens sowohl in militärischer Hinsicht wie als Transitland von Rohstoffen wie Erdgas oder Erdöl.

Die Erinnerung an die Opfer des Völkermordes in Armenien soll in Deutschland durch eine Gedenkveranstaltung in der Frankfurter Paulskirche am 24. April belebt werden. Veranstalter sind der Zentralrat der Armenier (ZAD) und die Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland. Der Vorsitzende des ZAD, Azat Ordukhanyan, der Trierer Weihbischof Stephan Ackermann für die Deutsche Bischofskonferenz und der Publizist Ralph Giordano werden die drei Gedenkreden halten.                          Hinrich E. Bues


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