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24.04.10 / Das Leben an der Gilge / Der Fluss bestimmte den Lebenszyklus der Bewohner seiner Ufer − mal gemächlich, mal wild und stürmisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

Das Leben an der Gilge
Der Fluss bestimmte den Lebenszyklus der Bewohner seiner Ufer − mal gemächlich, mal wild und stürmisch

Edith Lenkeit wuchs bei ihrer Großmutter Amalie auf, die in zweiter Ehe mit Georg Mitzkat verheiratet war und auf seinem Bauernhof an der Gilge lebte. Er hatte seinen Hof von zirka 36 Morgen für 1200 Mark gekauft, die er als Vorarbeiter einer Arbeitskolonne beim Bau von Staudämmen in der Gilge verdient hatte.

Normalerweise floss die Gilge ruhig zwischen den Flußwiesen in einer Breite von mehr als 100 Metern. Im Winter fror sie immer zu, so dass man sie mit Pferd und Schlitten überqueren konnte, wenn die Hufe der Pferde mit Stollen versehen waren. Hinter den Flusswiesen waren große Deiche, etwa drei bis vier Meter hoch, die sich bis an das Kurische Haff, etwa 32 Kilometer lang hinzogen. Die Straße lief mitten auf der Deichkrone und hatte Abzweigungen zu jedem Gehöft außerhalb der Eindeichung. Wenn im Frühling das Tauwetter einsetzte, hörte man das donnernde Getöse des aufbrechenden Eises. Dann staute sich der Fluss und überflutete die Flusswiesen. Wenn das Eis sich wieder löste, spielten die Jungen auf den großen Eisschollen in dem flachen Wasser der Wiesen. Im Sommer graste das Vieh auf diesen Flächen und auch Kartoffeln konnten in dem reichen Schlamm wachsen, den der Fluss zurückgelassen hatte.

Wenn Papa Lenkeit seine Mutter und seine Tochter Edith besuchen wollte, musste er seine Ankunft am Fluss so planen, dass er zur Melkzeit eintraf und den Melker auf sich aufmerksam machen konnte. Der holte ihn dann mit einem Boot über den Fluss.

Ruth erinnerte sich an das Baden in der Gilge auf den Schultern ihres Vaters, als sie noch nicht schwimmen konnte. Einmal gerieten sie fast in einen Strudel, den sie nicht bemerkten, bis sie durch die Rufe der Zuschauer von der anderen Flussseite gewarnt wurden. Die Gilge hatte viele Windungen. Die Deiche waren aber gerade gebaut, so dass die Flusswiesen in ihrer Breite sehr stark variierten. Sie waren Gemeindeland, an der Nordseite mit einer Breite von mehreren 100 Metern, an der Südseite jedoch nur zirka 150 Meter breit.

Georg Mitzkat, dessen Flächen außerhalb der Eindeichung lagen, war gegen Bezahlung durch die Regierung verantwortlich für die Erhaltung seins Deichabschnittes. Sein Schwiegersohn, Gustav Mitzkat, fertigte Weidenbündel an für die Erhöhung oder Reparatur der Deiche.

Ein Raddampfer fuhr regelmäßig den Fluss auf- und abwärts. Es war das Transportmittel dieser Gegend. Ruth erinnert sich: „Opa Mitzkat wollte nach Tilsit fahren. Er ruderte auf die Mitte des Flusses, machte den Dampfer auf sich aufmerksam, der hielt an, nahm ihn auf und den Kahn in Schlepp, so ging es nach Tilsit. Bei der Rückfahrt wurde Opa wieder an seiner Abfahrtstelle ausgebootet.“         John B. Bush


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