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24.04.10 / »Ein Volk, zwei Nationen, drei Staaten«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-10 vom 24. April 2010

»Ein Volk, zwei Nationen, drei Staaten«

Der vor 100 Jahren, am 29. April 1910, in Köln geborene Karl Dietrich Erdmann war einer der bedeutendsten deutschen Zeitgeschichtler des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung kommt schon darin zum Ausdruck, dass er bei Überblicksdarstellung der deutschen Geschichte, dem „Handbuch der deutschen Geschichte“, gemeinhin nur der „Gebhardt“ genannt, für den Teil „Die Zeit der Weltkriege“ verantwortlich gezeichnet hat. Darüber hinaus war er Mitbegründer der renommierten Zeitschrift „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“, die er bis zu seinem Tode betreute. 1962 bis 1967 leitete er als Vorsitzender den Deutschen Historikerverband, von 1966 bis 1970 den Deutschen Bildungsrat. 1975 bis 1980 war er dann Präsident des Internationalen Historischen Komitees. Bemerkenswert und mutig ist seine Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und Österreichs als drei Staaten, zwei Nationen und ein Volk.

In der so genannten Fischer-Kontroverse ergriff er mit Kollegen wie Gerhard Ritter und Egmont Zechlin Partei gegen Fritz Fischer. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Besatzer in der Bundesrepublik die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg als herrschende Lehre durchgesetzt. Nun wurde von deutschfreundlicher Seite argumentiert, dass der Zweite Weltkrieg eine Folge des Ersten sei, und darauf verwiesen, dass die NS-„Machtergreifung“ eine Folge des ungerechten Versailler Diktatfriedens der westeuropäischen Großmächte war. Vor diesem Hintergrund lag es im Interesse der britischen und französischen Besatzungsmacht, in der Bundesrepublik Historiker zu haben, die Deutschlands Alleinschuld nicht nur am Zweiten, sondern nun auch am Ersten Weltkrieg konstatierten und damit das Unrecht von Versailles relativierten. Einer der ersten von ihnen fand sich in Fritz Fischer.

Angesichts der geschichtspolitischen Bedeutung der von Fischer ab 1959 vertretenen These, dass ein deutscher „Griff nach der Weltmacht“ für den Ersten Weltkrieg verantwortlich sei, ist verständlich, dass Gegner wie Erdmann mit übelsten Vorwürfen konfrontiert wurden. So wurde noch zu Erdmanns Lebzeiten behauptet, die von ihm herausgegebenen Tagebücher des Vortragenden Rats in der Reichskanzlei Kurt Riezler, die den Reichskanzler zu Beginn des Ersten Weltkrieges, Theobald von Bethmann Hollweg, entlasteten, seien verfälscht worden.

Nach seinem Tod am 23. Juni 1990 hat Hans Mommsen Erdmann gar als „Vordenker der Vernichtung“ bezeichnet. Dabei hatte Erdmann nach der Promotion bei Wilhelm Mommsen 1933/34 zunächst sogar auf die angestrebte Universitätslaufbahn verzichtet, um keine Kompromisse mit den Nationalsozialisten eingehen zu müssen, und war in den Schuldienst ausgewichen. 1937/38 schied er dann auch aus diesem aus und ging in die Privatwirtschaft, da seine Ehefrau keinen Ariernachweis erbrachte. Vergleichbare Karriere­knicks während der NS-Zeit finden sich bei Fischer übrigens nicht. Es gibt eben auch in der Geschichtswissenschaft diesen Typus, der immer oben schwimmt.           M.R.


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