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01.05.10 / Ganze Denkkulturen erschlossen / Philosophen über Moral, Sittlichkeit, Kunst, Literatur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-10 vom 01. Mai 2010

Ganze Denkkulturen erschlossen
Philosophen über Moral, Sittlichkeit, Kunst, Literatur

In den derzeitigen Geisteswissenschaften ist kaum etwas so verpönt wie der Begriff des Geistes selbst. Deshalb spricht man seit langem von Kulturwissenschaften. Grundlagen und Grundfragen werden bei der Jagd um Forschungsgelder und Aufmerksamkeit für Nischen-Kompetenz zunehmend unkenntlich gemacht. Der Eindruck, dass die Geistlosigkeit programmatisch geworden ist, ist kaum von der Hand zu weisen. 

Umso mehr Beachtung verdienen vor diesem Hintergrund die sechs Bände, die das Philosophenpaar Edith und Klaus Düsing unter Mitwirkung des Wiener Ordinarius für Philosophie, Hans-Dieter Klein, gerade zum Begriff des Geistes vorgelegt hat. Tiefer zu den Quellen kann man gar nicht gehen als mit der Frage nach dem Geist. Unter den Beiträgern sind renommierte Philosophen, Theologen, Literatur- und Kunsthistoriker, unter anderem Eberhard Jüngel, Wolfhart Pannenberg, Henning Ottmann, Wolfgang Janke, Xavier Tilliette.

In den Bänden verbinden sich, zumeist hoch renommierte, Forscher zu einem vielstimmigen Konzert, das doch zugleich eine klare Grundmelodie erkennen lässt: In Zwiesprache mit der großen abendländischen Tradition von mehr als 2000 Jahren wird ein großes Denkgespräch geführt, das in der Sache den Bogen von Grundfragen der Moral, Sittlichkeit und politischen Philosophie über Geist, Gedächtnis und Kunst, Geist und Literatur bis in das Verhältnis Vernunft und Glauben spannt. Ein eigener besonders gehaltvoller Band widmet sich Geist und Heiligem Geist. Er wird zur Durchmessung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft. Doch auch den beiden Formen der Liebe, Eros und Agape und Geist und Seele bis in tiefenpsychologische Tiefen sind eigene Bänder gewidmet. Kenntnisreich und (fast immer) ins Zentrum führend, werden die großen Stimmen zwischen Platon, dem biblischen Zeugnis und der Moderne: Nietzsche, Heidegger, Freud sichtbar gemacht.

Dieses Werk ist ein großer, positiver Protest gegen die Geschichtsvergessenheit und den Reduktionismus, der in heutiger akademischer Wissenschaft allzu oft Dogma ist. Es zeigt auch schon im Stil eine große Achtung vor der Überlieferung, die eigene Gedanken keineswegs beschneidet, sondern inspiriert. Erst im Licht ihrer Geschichte werden Begriffe sprechend und erhellend.

Unzeitgemäß ist das Unternehmen auch darin, dass die Autoren die geistige Situation der eigenen Zeit, etwa das Menschenbild der Neuro- und Biowissenschaften, an der Tradition messen und sich nicht umgekehrt über das Frühere erheben. Durchgehend fragen sie selbst nach der letzten Wahrheit ihres Themas.

Damit eignen sich diese Bände hervorragend dazu, einer jüngeren Generation Maßstäbe und Denk-Kultur zu vermitteln. Sie erschließen souverän ganze Denkwelten und eignen sich hervorragend zur Einführung in weiterführendes Text- und Sachstudium. Wenn man sich in sie vertieft, wird deutlich, dass wir erst wieder lernen müssen, über Freiheit – des Einzelnen und des Gemeinwesens – auf dem Niveau zu sprechen, das uns der biblisch christliche oder der philosophische Freiheitsbegriff vorgeben. Nur scheinbar also dokumentieren die Bände esoterische Spitzenforschung, in Wahrheit enthalten sie Einsichten, die eine „Revolution der Denkart“ und damit auch öffentlicher Debatten herbeiführen könnten.

Dass die Platonische Idee des Guten, der Kantische und Fichtesche Gedanke des „Reichs der Zweck“, aber auch das Dogma vom dreieinigen Gott auch in unserer akademischen Kultur kaum mehr vorkommt, sagt nur etwas gegen die eigene Zeit. Goethe fordert mit Recht, sich vor 3000 Jahren Rechenschaft abzulegen, sonst bleibe man unerfahren – in allen Lebenslagen. Dazu haben Edith und Klaus Düsing, jenseits der Mainstream-Wissenschaft, einen wegweisenden Beitrag geleistet.             Harald Seubert

Edith und Klaus Düsing, Hans-Dieter Klein (Hrsg.): „Geist und …“, Reihe mit sechs Bänden, Königshausen und Neumann, Würzburg 2006 bis 2010, je um die 25 bis 50 Euro


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