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08.05.10 / »Ein Häuschen mit großem Garten« / 100 Jahre Liebermann-Villa in Berlin – Eine Ausstellung würdigt die Idee vom Haus im Grünen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-10 vom 08. Mai 2010

»Ein Häuschen mit großem Garten«
100 Jahre Liebermann-Villa in Berlin – Eine Ausstellung würdigt die Idee vom Haus im Grünen

Werke von Max Liebermann sind derzeit in Hamburg und Berlin zu sehen. Sie zeigen die weite Spanne seiner Themen.

In der Hamburger Kunsthalle ist derzeit das einst skandalumwitterte Gemälde „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ zu sehen. Als das Bild 1879 auf der Internationalen Kunstausstellung in München gezeigt wurde, war die Empörung groß: Seine Darstellung des Sohnes Gottes als ein schmutziger, „naseweiser Juden-Bengel“ löste einen deutschlandweiten Skandal aus. Die ungewohnt naturalistische Darstellung des Jesusknaben wurde als unerhört empfunden, zumal mit Liebermann auch noch ein jüdischer Maler es gewagt hat, sich dieses christlichen Motivs anzunehmen. Die öffentliche Verärgerung war so groß, dass sich sogar der Bayerische Landtag damit beschäftigte. Liebermann selbst war letztendlich so „beeindruckt“, dass er mehr oder weniger Abstand von religiösen Themen nahm. Jahrzehnte später hatten sich die Wogen geglättet. 1911 konnte Kunsthallendirektor und Liebermann-Freund Alfred Lichtwark das Gemälde für 60000 Reichsmark erwerben; 1912 wurde es in Hamburg erstmals öffentlich ausgestellt. Doch 1935 fiel auch dieses Meisterwerk der Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer und wurde 1941 verkauft. Erst 1989 konnte es für die Kunsthalle zum zweiten Mal gekauft werden.

Die Ausstellung, die sich auch mit der Geschichte des Bildes befasst, war zuvor in der Liebermann-Villa am Wannsee zu sehen. Dort feiert man dieser Tage das 100-jährige Bestehen der Villa. Nach seinem ersten Besuch in der Hansestadt 1902 zeigte sich der Künstler begeistert vom Wohnen im Grünen.

Bereits 1903 schrieb Liebermann an Lichtwark: „Wissen Sie vielleicht ein Häuschen mit großem Garten für uns in der Umgebung von Hamburg? Es brauchte ja nicht ganz so groß wie der Jänisch’sche Park zu sein, aber mit alten Bäumen, in deren Schatten ich meine Modelle posieren lassen könnte.“ Aus dieser Idee wurde nichts, den Garten aber und das Haus schuf sich Liebermann schließlich in Berlin. In der Villenkolonie Alsen, einem ab 1869 im Südwesten von Berlin geschaffenen „stadtfernen Wohnort inmitten einer idealisierten Natur und als großer, vom Wannsee umspülter Landschafts-park gesehen“ (Reinald Eckert), erwarb er 1910 für 145000 Reichsmark ein etwa 7000 Quadratmeter großes Doppelgrundstück am Großen Wannsee 42, Ecke Colomierstraße 3 mit Zugang zum See. Der Architekt Paul Baumgarten (1873–1953) schuf nach der Vorstellung von Liebermann, der von den Hamburger Kaufmannsvillen Godefroy und Wesselhoeft angetan war, eine geräumige Villa. An der Konzeption des Gartens war schließlich Alfred Lichtwark, ein Anhänger der Gartenreformbewegung und Mitgestalter des Hamburger Stadtparks, maßgeblich mit beteiligt, die Ausführung lag bei Albert Brodersen. „Die Wiederentdeckung des Landhauses in Deutschland ging mit einer Rück-besinnung auf regionale Vorbilder und Traditionen einher“, erläutert Martin Faass, Museumsleiter der Liebermann-Villa und Kurator der Austellung. „Vor allem der hanseatische und preußische Klassizismus boten architektonische Orientierung für die Ausgestaltung der Idee. Goethes Gartenhaus in Weimar erlangte geradezu Kultstatus und wurde zum wegweisenden Vorbild für viele Villen der Liebermann-Zeit. Auch Liebermann selbst stellte sich mit dem Bau seiner Villa am Wannsee in die Nachfolge des großen Dichterfürsten. Das markante hohe Walmdach der Liebermann-Villa und die schlichte Eleganz der Gesamterscheinung sind als indirektes Zitat des Weimarer Vorbildes zu erkennen.“

Faszinierend aber war der Garten rund um die Villa. Über 200 Gemälde und Studien entstanden dort, ein Höhepunkt in Liebermanns Spätwerk. Aus immer wieder neuen Perspektiven hat Liebermann zum Beispiel auch den Nutzgarten, in dem er im Krieg sogar Kohl anbauen ließ, die Blumenterrasse mit dem Fischotterbrunnen von August Gaul, die Gartenbänke und Heckengärten, den Birkenhain gemalt.

Lichtwark hatte dieses schon vorausgeahnt; er schilderte ein Schlüsselerlebnis, das der Maler in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts bei einem Besuch eines norddeutschen Bauerngartens hatte: „Bald stand er vor der Haustür und beobachtete die Wirkung des Gartens, bald vor der Laube und genoss den Anblick des Hauses, das mit seiner Tür im weichen Schatten der geschorenen Lindenreihe lag ... Mein Freund machte mit den Händen einen Rahmen vor die Augen und probierte Bildermotive, wie die Maler tun. Hundert Bilder könnte man hier malen, meinte er, eins schöner als das andere ...“

Die Jubiläums-Ausstellung „Die Idee vom Haus im Grünen“ stellt mit über 40 Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Dokumenten die Geschichte der Liebermann-Villa und ihre Verankerung in der Landhaus-Bewegung um 1900 vor. Farbenprächtige Werke von Lovis Corinth, Max Slevogt, Leopold von Kalckreuth und Wilhelm Trübner zeigen, dass der Traum von einem Refugium im Grünen auch die Zeitgenossen Liebermanns bewegte.

„Das Haus im Grünen um 1900 ist aber nicht nur Ausdruck der lebensreformerischen Sehnsucht nach einem Leben im Einklang mit der Natur und Bekenntnis zu einem klassischen Lebensentwurf“, erklärt Martin Faass. „Es ist darüber hinaus, wie Liebermanns Spätwerk vor Augen führt, auch das ideale Lebens- und Arbeitsfeld für den Maler, dem sich im Garten ein ideales Motiv für seine Kunst bietet.“             Silke Osman

Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle ist bis zum 18. Juli dienstags bis sonntags von 19 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet.

Die Ausstellung in der Liebermann-Villa ist bis zum 15. August täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr zu sehen.


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