28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.05.10 / Preußens berühmtestes Krankenhaus / Vor 300 Jahren wurde die Charité als Reaktion auf eine Pestepidemie gegründet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-10 vom 08. Mai 2010

Preußens berühmtestes Krankenhaus
Vor 300 Jahren wurde die Charité als Reaktion auf eine Pestepidemie gegründet

Deutschlands wohl berühmtestes Klinikum, die Charité in Berlin, wird 300 Jahre alt. Ausstellungen und Ringvorlesungen bezeugen den Rang dieser Institution, in deren Geschichte sich Höhen und Tiefen der deutschen Wissenschaft spiegeln. Einem Festakt am 16. Mai wird sich im Oktober eine ambitionierte Großveranstaltung mit anderen Berliner Jubilaren, der Humboldt-Universität, der Staatsbibliothek und der Max-Planck-Gesellschaft anschließen.

Als im Jahre 1709 eine Pestwelle auf die brandenburgische Residenz Berlin zuzurollen schien, wurde eiligst, und zwar vor den Toren der Stadt, ein Pesthaus errichtet. Der Entschluss dazu fiel am 13. Mai 1710. Berlin blieb dann von der Pest verschont, das Haus jedoch – „ein recht stattlicher Fachwerkbau auf quadratischem Grundriss, mit zwei Etagen und an jeder Ecke einem Türmchen“ – wurde, da das preußische Heer dringend Ärzte benötigte, als ständiges Kranken- und Armenhaus etabliert. Der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. schrieb persönlich am 14. Januar 1727 unter eine Ordre bezüglich der Umwandlung der Einrichttung in ein Bürgerhospital: „Es soll das Haus charité (Barmherzigkeit) heißen.“

Es war in seinen ersten Jahrzehnten mehr ein Armenhaus, in dem neben einigen Ärzten als Personal „Hauß-Väter, Räucherfrauen, Wasch- und Scheuermägde, Todtenfrauen, Brauknechte und Bierschenkerinnen“ wirkten.

Der Zulauf war so groß, dass man um 1800 einen Neubau, die „Neue Charité“ errichtete, die dann fast 100 Jahre bestand. Als 1810 die Berliner Universität gegründet wurde, wurde ihr erstaunlicherweise die Charité nicht eingegliedert, sondern blieb – und zwar formal-rechtlich bis 1951 – als eigenständige Einrichtung bestehen, obwohl in der Folgezeit viele Universitätsinstitute und berühmte Wissenschaftler mit der Charité eng verbunden waren.

Das 19. Jahrhundert war eine Blütezeit der Berliner Wissenschaft, insbesondere auch der Berliner Medizin. Eine weitsichtige Bildungspolitik des preußischen Staates, personifiziert in dem legendären Friedrich Althoff, trug das Ihre hierzu bei. Als um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert deutlich wurde, dass in der rasch wachsenden Millionenstadt das Klinikwesen nichtsdestotrotz veraltet war, wurde nach und nach das noch heute im typisch märkischen roten Klinkerbaustein bestehende Ensemble geschaffen mit Nervenklinik, Chirurgie, zwei Medizinischen Kliniken, Pathologischem Museum und dem Verwaltungsgebäude mit dem bekannten Rundbau am Eingang des Campus. In den Jahren der Weimarer Republik war die Charité längst eine der führenden medizinischen Einrichtungen weltweit.

Diese Erfolgsgeschichte riss 1933 jäh ab. Infolge der antijüdischen Gesetze des neuen Regimes mussten über 140 Wissenschaftler und Dozenten die Charité verlassen, ein Aderlass, der trotz großer Einzelleistungen nicht mehr zu korrigieren war. In der Person des Neurologen Max De Crinis, der sich aktiv an der Tötung sogenannten lebensunwerten Lebens beteiligte, erreichte die Charité einen moralischen Tiefpunkt.

Das bittere Ende kam, wie für die gesamte Stadt, im Frühjahr 1945. Bei Kriegsende war fast die Hälfte der Gebäude schwer beschädigt oder total zerstört. Zwar begann schon im Herbst 1945 wieder der Pflege- und im Frühjahr 1946 der Vorlesungsbetrieb, doch waren die ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte schwer. Da waren zum einen die immensen äußeren Schwierigkeiten auf dem nur langsam wiederaufgebauten Campus. Zum anderen waren da die harten ideologischen Vorgaben der SED, die insbesondere vor dem Mauerbau zur Flucht zahlreicher hochqualifizierter Mitarbeiter führten.

Erst Mitte der 70er Jahre machte die DDR Ernst mit ihrem Anspruch, mit der Charité ein Renommier- und Glanzstück der Medizin zu haben. Am 27. April 1976 wurde der Grundstein für das neue „Chirurgisch-Orientierte Zentrum“ (COZ) gelegt, das 1982 eingeweiht werden konnte. Mit 24 Operationssälen, acht Entbindungsplätzen, zahlreichen Einrichtungen der klinischen Diag­nostik und rund 1100 Betten zählt der markante, bis heute das Stadtbild hinter dem Reichstag prägende 15-geschossige Klotz zu den größten Klinikbauten in Europa. Auf zahlreichen Gebieten gelang allmählich wieder der Anschluss an die Weltspitze.

Die Revolution von 1989 brachte neue Turbulenzen: Zahlreiche Professoren und Dozenten mussten als belastet das Haus verlassen. Der Personalbestand wurde um fast 1000 Personen verringerte. Und bei Neuberufungen dominierten zumindest bei den Lehrstuhlinhabern Wissenschaftler aus den alten Bundesländern. Mit Blick auf die großen Häuser im Westteil der Stadt wurde zudem für eine Weile ernsthaft überlegt, die Charité gänzlich aufzulösen, was dann aber, wohl auch wegen des Nimbus dieser Institution, doch verworfen wurde.

Stattdessen gab es eine grundlegende Strukturreform für alle vier großen medizinischen Einrichtungen in Berlin. Unter dem Namen „Charité“ sind heute der traditionelle Standort in Berlin-Mitte, das Klinikum Berlin-Buch sowie die zwei im Westteil gelegenen Häuser Rudolf-Virchow- und Benjamin-Franklin-Klinikum vereint. Gegenwärtig umfasst dieser gewaltige, von bösen Zungen als viel zu monströs kritisierte Komplex 107 Kliniken und Institute mit 14500 Mitarbeitern, davon 3750 Wissenschaftler und Ärzte sowie 4250 Schwestern und Pfleger. Jährlich werden 130000 Patienten stationär und 530000 Patienten ambulant betreut. Hinzu kommen etwa 5300 Kinder, die hier das Licht der Welt erblicken.

Und es bleibt unruhig. Erst jüngst flammte die Diskussion wieder auf, ob es nicht besser sei, das Benjamin-Franklin-Klinikum wieder aus dem Verbund herauszulösen. Ebenso wurde vorgeschlagen, das wuchtige COZ ganz abzureißen und dafür ein moderneres Gebäude zu errichten. Vieles scheint offen; unverrückt steht indes die große Geschichte als gemeinsame Verpflichtung für die Zukunft. Dirk Klose


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren