20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.05.10 / »Heilsamer Einfluss auf mein Leben« / Seit 85 Jahren wird in Deutschland der Muttertag begangen – Heute ein rein privater Feiertag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-10 vom 08. Mai 2010

»Heilsamer Einfluss auf mein Leben«
Seit 85 Jahren wird in Deutschland der Muttertag begangen – Heute ein rein privater Feiertag

Nie werde ich ihrer vergessen, denn sie pflanzte und nährte zuerst den Keim des Guten in mir: Sie öffnete mein Herz den Eindrücken der Natur, sie weckte und erweiterte meine Begriffe, und ihre Lehren haben einen immerwährenden, heilsamen Einfluss auf mein Leben gehabt.“ Kein Geringerer als der Philosoph Immanuel Kant fand diese anerkennenden Worte über die wohl wichtigste Frau im Leben eines Menschen, die Mutter.

An diesem Sonntag ist es wieder soweit: Blumenläden werden belagert, Tische in Restaurants reserviert und Mütter in Autos verfrachtet, um sie ins Grüne zu kutschieren. Es ist Muttertag in Deutschland. Viele, die sonst kaum Zeit für die Mutter aufbringen, erinnern sich urplötzlich an ihre Pflichten. Ein Blumenstrauß, eine Schachtel Pralinen sollen zeigen, wie sehr sie ihre Mutter schätzen. Ein einziger Tag im Jahr nur soll ausreichen als Dank für all die Liebe und Nachsicht, die eine Mutter immer wieder aufs Neue ihren Kindern entgegenbringt. Vor allem die Blumengeschäfte werden wieder profitieren, war es doch auch pikanterweise ihr Dachverband, der 1923 den Muttertag in Deutschland etablierte.

Schon 1872 war in Amerika die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Julia Ward Howe an die Öffentlichkeit gegangen und hatte für die amerikanischen Mütter einen offiziellen Feiertag gefordert. Anna Jarvis, die gemeinhin als „Erfinderin“ des Muttertages gilt, hat diese Anregung aufgegriffen. Die 1864 geborene Lehrerin aus Grafton / Virginia war nicht verheiratet und hatte auch keine Kinder. Als ihre geliebte Mutter am 9. Mai 1905 starb, regte sie zunächst im Bekanntenkreis an, einen Tag zu Ehren der Mütter einzurichten. Die Frauen sollten in einer von Männern dominierten Welt mehr Beachtung finden und dieser besondere Tag ein Zeichen setzen. Die eigentliche Geburtsstunde des Muttertags in Amerika ist der dritte Todestag von Annas Mutter. Die Tochter hatte den Pfarrer von Grafton gebeten, in seiner Predigt des Gedenkgottesdienstes auf die Rolle der Mutter in der Gesellschaft einzugehen. Am Ende des Gottesdienstes verteilte Anna weiße Nelken an die Gemeindemitglieder. Die stille Feier war ein voller Erfolg. Anna Jarvis aber ließ es nicht dabei bewenden. Sie schrieb unzählige Briefe an führende Persönlichkeiten mit der Bitte, den Muttertag national einzuführen. Ein Bundesstaat nach dem anderen folgte dem Aufruf, und im Mai 1914 beantragte Senator Sheppard aus Texas, den zweiten Sonntag im Mai als amerikanischen Feiertag zu begehen. Präsident Wilson unterschrieb diesen Antrag, der schließlich am 8. Mai 1914 vom amerikanischen Kongress angenommen wurde.

Anna Jarvis hätte glücklich sein müssen, doch bald schon wurde der Ehrentag der Mütter von kommerziellen Interessen überrollt. Vergeblich kämpfte sie gegen das Geschäft mit dem Muttertag. Arm und verbittert starb Anna Jarvis mit 84 Jahren in Philadelphia, wo sie auf dem Armenfriedhof ihre letzte Ruhestätte fand.

Ebenso hartnäckig setzte sich auch eine Deutsche dafür ein, dass der Muttertag in Deutschland gefeiert wurde. Irma Wetzel hatte im Ersten Weltkrieg erlebt, wie sehr ihre Mutter hatte schuften müssen, um die Kohlenhandlung ihres Mannes, der an der Front war, weiterzuführen. Auch alle Gehilfen waren eingezogen, so dass die Frau, die zudem ein Kind erwartete, allein vor der schweren Aufgabe stand. Nur wie durch ein Wunder kam sie mit dem Leben davon, als sie ihr Kind verlor. Irma Wetzel schrieb an Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und bat ihn, etwas für die notleidenden Mütter zu tun. Auf eine Antwort wartete sie vergeblich, doch sie gab nicht auf und schrieb immer wieder an den Feldherrn, der schließlich Reichspräsident wurde. 1925 wurde auch in Deutschland der zweite Sonntag im Mai offiziell als Muttertag begangen. Heute ist dieser Tag ein rein privater Feiertag. Der weltliche Muttertag hat übrigens einen religiösen Vorläufer. Der Sonntag „Laetare“ (im März / April) wurde in England schon zu Zeiten von Heinrich III. (1216–1239) als „Mothering Sunday“ begangen, ein Tag, an dem der „Mutter Kirche“ für ihre Mutterschaft gedankt wurde. Zu diesem Feiertag der Kirche gehörte es schon damals, dass auch gegen-über der leiblichen Mutter an diesem Tag Dank ausgedrückt wurde. Auch diejenigen Kinder, die ihr Elternhaus bereits verlassen hatten, trafen sich dort mit der ganzen Familie. Der Dank der Kinder gegenüber den Eltern wurde durch den „simmel cake“, den Semmelbrösel-Kuchen, ausgedrückt, dessen reichhaltige Zutaten schon auf Ostern verwiesen.

Zu allen Zeiten war es nicht jedem gegeben, seinen Dank der Mutter gegenüber in Worten auszudrücken. Briefeschreiben ist in Zeiten von SMS und Handy ohnehin zu einer Kunst geworden. „IHDL“ (ich hab dich lieb) ist sowieso viel schneller geschrieben als eine kunstvolle Epistel. Nun kommt es nicht darauf an, große Worte zu finden, oft ist es die kleine Geste, die Zeit, die man sich für den anderen nimmt, die zählen. Dem anderen, der Mutter zuhören, für sie da sein, so wie sie früher für die Kinder da war, ist vielleicht das größte Geschenk. Und das nicht nur am zweiten Sonntag im Mai. Silke Osman


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren