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15.05.10 / Was wir bekämpfen, ist urafghanisch / Keine Bildung für Mädchen und Schleier für alle Frauen gab es wie das Alkoholverbot auch vor den Taliban

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-10 vom 15. Mai 2010

Was wir bekämpfen, ist urafghanisch
Keine Bildung für Mädchen und Schleier für alle Frauen gab es wie das Alkoholverbot auch vor den Taliban

Das Leben in diesem Lande ist gar nicht so abenteuerlich, wie man denken könnte. Wenn man nicht Pech hat, könnte man jahrelang in Afghanistan umherziehen, ohne dass einem ein Haar gekrümmt wird“ – so gelassen resümierte der deutsche Geologe Emil Trinkler (1896–1931) seine Afghanistan-Expedition, die er 1923/24 für eine „neugegründete afghanische Handelsgesellschaft“ unternahm, um Kohle- und Erzlagerstätten zu finden. Monate lang ist er vom westlichen Herat bis zum östlichen Kabul durch den unwirtlichen Hindukusch gezogen, hat Hunger und Kälte erduldet, ist Räubern begegnet, ohne dass ihm etwas geschah.

Trinkler hat 1927 sein Reisebuch „Quer durch Afghanistan nach Indien“ veröffentlicht, das nach 80 Jahren noch so facettenreich und fundiert anmutet, dass man es allen als Pflichtlektüre verordnen möchte, die im heutigen Afghanistan so miserable „Sicherheits-Unterstützung“ leisten.

85000 Soldaten aus 42 Ländern versehen in Afghanistan „friedenserzwingenden Einsatz“, bis 2011 werden es 171000 sein. Die bislang 4400 deutschen Soldaten, die afghanische Politiker als „wirkungslos“ abtun, werden auf 5350 aufgestockt. Bis April 2010 sind 43 Soldaten gefallen und Hunderte erlitten schwere psychische Traumata.

Der Krieg in Afghanistan ist sinnlos, seine Begründungen („Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“) sind verlogen, die Deutschen wollen den Krieg mehrheitlich nicht und entfremden sich von deutschen Soldaten, die ihn führen. Das ist ein unverdientes Dilemma, das vermeidbar wäre, würde man sich die Erfahrungen aneignen, die deutsche Afghanistan-Reisende vor rund 90 Jahren machten.

Das gilt besonders für Emil Trinkler, dessen Expedition nicht wie andere im Ersten Weltkrieg türkisch-deutschen Plänen gegen das in Afghanistan und Indien dominierende England folgte. Das war nicht mehr nötig, nachdem der spätere König Emir Amanullah Khan 1919 mit den Briten gebrochen und Deutsche ins Land geholt hatte, wo sie Straßen, Städte, Hospitäler und Schulen bauten.

Pionier dieser Entwicklung war Trinkler. Seine geologische Kompetenz war brillant, seine Landes- und Sprachenkenntnis Afghanistans überragend, denn (so sein Credo) „wenn man als Geograph fremde Länder bereist, muss man die Landessprache beherrschen. Ohne Kenntnis der Sprache wird einem das betreffende Volk stets ein Rätsel bleiben.“ Fraglos war für ihn, dass man Afghanen nicht mit angelsächsischer Arroganz oder russischer Gewaltbereitschaft begegnen solle.

Über das freudlose Sowjetrussland („Ich habe in Moskau nie einen Menschen herzlich lachen hören“) kam Trinkler nach Afghanistan, dessen Menschen ihm besser gefielen, als seine Worte vermuten lassen: „Fanatisch“ seien sie, also hartnäckig und beharrlich, „misstrauisch“ und „unfreundlich“ gar, was nur ihre vorsichtige Erfahrung spiegelte: „Sehr erfreut schienen die Leute nicht über unseren Besuch zu sein, sie wurden in ihrer Ruhe und Abgeschlossenheit gestört.“ Dazu gehören auch Eigenheiten – keine Bildung für Mädchen, Schleier für alle Frauen, totales Alkoholverbot und so weiter – die man nun Taliban zuschreibt, obwohl sie urafghanisch sind.

Gibt es überhaupt „die“ Afghanen? Der Naturforscher Trinkler schert sich nicht viel um ethnische Unterschiede, denn er kommt geduldig und verständig mit allen zurecht. Blutrache, Konflikte, Raubzüge betreffen ihn nicht, was im Ausland über Kafiren, Paschtunen und so weiter geschrieben wurde, belächelt er zu Recht als übertrieben. Ihn interessiert mehr, welcher dieser „willden“ Stämme Nachfahre derer ist, die schon 300 v. Chr. für Alexander den Großen stritten. Andacht überkommt ihn beim Anblick der Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal, die „noch heute zu den größten Sehehnswürdigkeiten Afghanistans“ zählen. Im März 2001 haben Taliban sie zerschossen, aber im Buch des Deutschen Trinkler finden sich lange Seiten mit Erklärungen, Messungen und so weiter, nach denen man sie wieder aufbauen könnte. Wolf Oschlies


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