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15.05.10 / Luises Älteste wurde Zarin / Ähnlich ihrer Mutter faszinierte Prinzessin Charlotte von Preußen ihre Zeitgenossen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-10 vom 15. Mai 2010

Luises Älteste wurde Zarin
Ähnlich ihrer Mutter faszinierte Prinzessin Charlotte von Preußen ihre Zeitgenossen

„Als ob die selige Königin Luise selbst vom Himmel im Triumph herunterkäme“ – so gerührt begrüßten die Berliner die russische Kaiserin jedes Mal, wenn sie ihrer alten Heimat einen Besuch abstattete. Als älteste Tochter der beliebten Königin erinnerte Alexandra Feodorowna aber nicht nur an ihre früh verstorbene Mutter. Auch von ihr selbst ging ein Zauber aus, der viele Zeitgenossen fesselte.

Zunächst erfreute ihre Geburt 1798 das königliche Elternpaar Luise und Friedrich Wilhelm III. Sie war das erste Mädchen nach zwei gesunden Söhnen. Nachdem noch weitere vier Kinder geboren worden waren, fand Charlotte 1809 ein Bild für die Familie, das nicht mehr lange Gültigkeit haben sollte: „Papa, Mama und das Siebengestirn“. Ein Jahr später war die Mutter tot; und ihr am Boden zerstörter Mann konnte sich mit den verwaisten Kindern der tiefsten Sympathie der Berliner sicher sein. Charlotte band der Mutter einen Kranz weißer Rosen und zeigte damit zum ersten Mal eine Hinneigung zu ihrem lebenslangen Spitznamen. Denn „Blanchefleur“ – so wurde Charlotte von ihren Geschwistern nach einer Figur aus einem Ritterroman genannt. Der von einem Schwert durchstochene Kranz weißer Rosen auf blauem Schild wurde später auch zum Wappen ihrer Lieblingsvilla.

Es herrschte Krieg mit den Franzosen; Preußen überlebte den napoleonischen Siegeszug nur auf Bitten des Zaren Alexander. Seine Mutter hatte bereits 1809 mit der preußischen Königin den Plan gefasst, beide Herrscherfamilien durch die Heirat des Zarenbruders Nikolai Pawlowitsch mit Prinzessin Charlotte zu verbinden. Im März 1814 begegneten sich die beiden zum ersten Mal in Berlin. Würden die beiden Schachfiguren im politischen Spiel auch Gefallen aneinander finden? Nach einer ersten vorsichtigen Musterung, die nicht negativ ausfiel, dauerte es jedoch noch ein ganzes Jahr, bis auch leidenschaftlichere Gefühle auftraten. Charlotte vermerkte zu ihrem Verlobungsdatum am 31. Oktober 1815: „Der Herr sei gelobet. Er hat alles gut gemacht!“

Als die Prinzessin Preußen verließ, wurde sie von der Bevölkerung der östlichen Provinzen liebevoll verabschiedet. Standard waren blumengeschmückte Ehrenpforten und knicksende Mädchen, die Präsente überreichten. Unter Überschriften wie „Zwei Völker blicken mit Stolz auf Sie“ hielt sie Einzug in Städten wie Lauenburg, Danzig, Braunsberg, Königsberg und Memel.

Die wesentlichen Konstanten ihres Lebens standen fest: Sie hatte nach ihrer eigenen Auffassung eine herrliche Jugendzeit verlebt, die sie in der schönen Landschaft von Potsdam verbracht hatte. Mit dem Vater und den Geschwistern würde sie künftig einen intensiven Briefwechsel pflegen, durch den das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie noch jahrzehntelang gepflegt wurde. In der aufregenden Zeit der napoleonischen beziehungsweise der Freiheitskriege hatte sie außerdem eine konservative politische Haltung entwickelt, die es ihr als russische Kaiserin ermöglichte, den autokratischen Entscheidungen ihres Mannes aus innerer Überzeugung zu folgen. Und drittens hatte sie in dem gutaussehenden Großfürsten einen Partner gefunden, der zwar gerne alles bestimmte, andererseits seiner Frau aus Zuneigung und Treue eine erfüllte Beziehung bereiten würde.

Als weitere Lebenskonstante kamen bald Kinder in dieser Ehe hinzu, die es Charlotte, die sich nun „Alexandra“ nannte, ermöglichten, auch in der neuen Heimat ein warmes Familienleben aufzubauen. Und was hat die westeuropäische Prinzessin aus ihrer hohen Stellung in Russland gemacht? Hat sie ihr Land kennengelernt, wurde sie auch ein „Mütterchen“ Russlands?

Tatsächlich erfüllte Alexandra die Aufgaben, die man von ihr erwartete, mit Pflichtgefühl. Ihre Beziehung zu Russland blieb allerdings relativ oberflächlich. Anders als ihre Schwiegermutter, die dauerhafte soziale Institutionen ins Leben rief, ließ sie sich von familiären und gesellschaftlichen Aufgaben absorbieren. Eine bedeutende historische Chance wie ihrer Mutter in der Begegnung mit Napoleon wurde ihr auch nicht zuteil. Charlotte/Alexandra lebte mit einem Mann zusammen, dem Zeitgenossen und Forscher eine moralische Knechtung der Bevölkerung bescheinigten. Sie selbst sah dagegen in ihm gerade eine hohe Verantwortlichkeit, die nach modernen Maßstäben patriarchalisch und damit rückschrittlich war.

Viele Originalquellen lassen uns den Menschen Charlotte/Alexandra allerdings sehr nahe kommen: Durch ihren Humor, ihre Ausstrahlung und ihren gesunden Menschenverstand wirkt sie schnell vertraut. Sabine Schenkel

Die Autorin ist Verfasserin des Buches „Die weiße Rose Preußens: Das Leben der Charlotte von Preußen, Kaiserin von Russland 1798 bis 1860“.


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